Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
Vom Netzwerk:
außer ihm selbst kaum mehr zurückgelassen hatte als ebendie Erinnerung an die Feder. Einen geklemmten Atemzug lang zögerte Georg Jennerwein noch, dann steckte er sich das säbelkrumme Mal hinters Hutband. Richtete die Spielhahnfeder so hin, daß sie keck und herausfordernd nach vorne wies. {45} Und war, als er nun den Weg zurück ins Tal in Angriff nahm, ein noch Unbändigerer als ohnehin schon geworden.
     
    *
     
    Die Haider Kindheit, das frühe Leid bei den Protzbauern, der Verlust der verhaßten Heimat, das Betbruder-Gütl, das hilflose Fragen nach dem wahren Vater, das Gurgeln und Kieselschleifen der Loisach, das Zusammentreffen mit dem Senn und dem Gangerl, das Abgeschobenwerden, die Mündungsflamme aus dem Terzerol, der Rausch im Wirtshaus von Valley, das mentale Zurückgescheuchtwerden, das Raufen mit dem Geißler, der Zahn, der ihm fast aus dem Maul geschlagen worden war, das letztmalige Ausbrechen, das Sichverlieren in der Gretl und jäh wieder der Verlust der Lust – folgerichtig hin zur Spielhahnfeder, zur fiedrigen, archaischen Säbelklinge am Hut und im Schädel, hatte dies alles geführt. Die Vision von der Jägerschlacht, die Georg Jennerwein nie wieder hatte vergessen können, kam hinzu. Seine Kraft jetzt auch, seine siebzehnjährige; sein Tatendrang, der so wild geworden war, daß er sich in der Knochenarbeit allein nicht mehr zu erschöpfen vermochte. So benötigte die Spielhahnfeder alsbald ihr stählernes Pendant. In Gmund, im magischen, einem Wilderernest nicht erst seit dem 33er Jahr, hatte der Girgl keine sonderlichen Schwierigkeiten, an einen Stutzen zu kommen, eine zerlegbare Büchse mit doppeltem Kugellauf.
    Die Holzknechte ahnten vielleicht etwas, hielten aber schon aus Tradition den Mund. Lästerten höchstens augenzwinkernd hinter seinem Rücken, wenn der Siebzehnjährige jetzt jeden zweiten oder dritten Feierabend bergwärts verschwand.
    Nahe der Mittsommernacht stand das Jahr 1865 mittlerweile, so blieben ihm immer noch ein paar Stunden Helligkeit, nachdem er den Stutzen höher oben am Öder Kogel aus dem Versteck geholt hatte. Und im späten Büchsenlicht visierte er dann unter der wippenden Spielhahnfeder hin über Kimme und Korn.
    Schlug vorerst freilich bloß auf tote Ziele an; hatte ja, außer damals in der Scheune, nie zuvor einen Schuß abgegeben. So fetzten seine Kugeln zunächst nur Borke von den Baumstämmen und Steinsplitter aus den Felsen, ehe er allmählich besser mit Druckpunkt und Rückstoß umzugehen lernte. Hinzu kam, daß er mit einem Ohr, mit einem Auge stets auf etwaige Jäger lauern mußte. Hart wurde ihm die Lehrzeit deswegen; oft sehnte er sich den Gangerl herbei, damit der es ihm besser beigebracht hätte. Aber nach Sonnwend dann, nachdem er zwei oder drei Pfund Blei scheinbar unnütz vergeudet hatte, wurden ihm Auge, Hand und Büchse allmählich eins. Im späten Juli, in der einfallenden Dämmerung schon, erlegte er schließlich seinen ersten Bock. Ein Kümmerling war’s, am einen Lauf verwachsen, aber immerhin!
    »Sakrament! Jetzt hast du’s den Großkopfeten einmal richtig gezeigt!« belferte erregt der Arbeitskamerad, mit dem Georg Jennerwein in der Baracke das Stockbett teilte. Die anderen Holzknechte schoben sich grinsend und verschwörerisch näher. »Hoffentlich hat dich kein Jäger gesehen!« zischelte einer von denen, die damals schon in Valley dabeigewesen waren. Der Girgl lachte, wegwerfend. »Ihr habt’s doch gestern im Wirtshaus selbst gehört, daß die Tegernseer Herrschaftsdeppen für heute und morgen auf die Tuften {46} hinüberbefohlen worden sind. Müssen das Revier durchkämmen wegen der Adelstreibjagd im Herbst. Also ist die Luft rein gewesen bei uns. Und jetzt schürt das Feuer an, daß wir den Bock auf der Stelle verschnabulieren können! Abhängen lassen dürfen wir ihn nicht. Sonst könnt’s sein, daß uns doch noch einer im grünen Loden auf den Braten spuckt!«
    »Für uns hast geschossen? Nicht ums Geld?« fragte der vorige Sprecher ungläubig.
    »Für wen denn sonst, wenn nicht für meine Kameraden?« versetzte Georg Jennerwein aufgekratzt. »Glaubt’s mir nur! Ab jetzt wird’s auf dem Holzplatz nicht mehr so mager zugehen wie bisher!«
    Daß jetzt die Anerkennung, das Hochlebenlassen förmlich über ihm zusammenschlugen, war ihm der schönste Lohn. War ihm noch wertvoller als das Gefühl archaischer Lust in dem Moment, da er die Kugel ins Blatt des Wildes hatte einschlagen sehen. Nicht mehr am Rand der ihm zugemessenen

Weitere Kostenlose Bücher