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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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hatte er auf einmal das Stilett in der Hand, mit dem er erst vor ein paar Stunden den Bock ausgeweidet hatte, und die nadelspitze Klinge zitterte, tief gehalten, gegen den Hinterfotzigen, gegen den Bedrohlichen, gegen den dunklen Schatten aus der eigenen hundshäutenen Vergangenheit hin.
    Geduckt wie zum Sprung, instinktiv, stand jäh auch der andere da, doch ehe es wirklich zum Raufen, zum blutigen vielleicht sogar, kommen konnte, schob sich einer der Freunde Jennerweins dazwischen und herrschte den Pföderl an: »Das Maul wenn du aufmachst, drunten im Tal, gegenüber dem Förster, dann holt dich der Teufel! Dann bekommst du es nicht bloß mit dem Girgl, sondern mit uns allen zu tun! Dann könnt’s leicht sein, daß dich ein Baum trifft im Sturz oder daß ein Hackl unversehens gegen dich ausrutscht! Hast mich verstanden, Pföderl? Hast es gefressen, daß hier heroben ein anderer Wind weht als drunten bei den Arschkriechern?!«
    Der Dunkle schnaufte schwer, ballte die Fäuste, öffnete sie wieder, ballte sie erneut, wandte sich dann unvermittelt ab und suchte, fast laufend, das Weite. Ihm nach schlug das rauhe Gelächter; auch der Girgl fiel nach einer Weile wie erlöst ein. Lange hielt sich Johann Pföderl dann nicht mehr auf dem Holzplatz. Im Wittelsbacher Forst, droben bei Kreuth, so hieß es, habe er eine andere Arbeit gefunden.

Manöverschießen
     
    Im sogenannten Frieden zu Prag, er wurde noch im August dieses denkwürdigen Jahres 1866 zu Papier gebracht und protzig besiegelt, stimmte Österreich der Auflösung des Deutschen Bundes zu. An seine Stelle trat schon im Februar 1867 ein norddeutsches Bündnis, eine Vereinigung von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main mit Preußen. Unter die hohenzollerische Fuchtel gerieten damit endgültig auch Württemberg, Baden und Bayern. Unverfroren führte schon gleich nach der Paraphierung Preußen auf seinem Territorium die allgemeine Wehrpflicht ein. Wenig später wurde Bismarck zum Kanzler dieses Norddeutschen Bundes ernannt. Die Präsidentschaft fiel, erblich, an das Haus Hohenzollern. Mit ihr verbunden waren der Oberbefehl über Heer und Flotte sowie die Entscheidungsgewalt über Krieg oder Frieden. Ein Deutsches Zollparlament, 1868 ins Leben gerufen, sollte den kleindeutschen {49} Einigungsgedanken nachdrücklich auch über die Mainlinie nach Süden vorantreiben.
    Dort freilich zeigte sich, in dynastischer Hinsicht zumindest, der König von Bayern dem neuen nationalen Denken abhold. Dem norddeutschen Bündnis setzte Ludwig II. beinahe zeitgleich sein Verlöbnis mit Herzogin Sophie Charlotte in Bayern, einer jüngeren Schwester der österreichischen Kaiserin Elisabeth, entgegen. Der Ringtausch ereignete sich im Januar 1867; wenige Monate später schon reiste der Monarch nach Paris, ohne Sophie. Dennoch liefen in München die Hochzeitsvorbereitungen auf vollen Touren. Im Oktober 1867 dann gestand der König sich und dem Volk ein, daß seine Gefühle für die Jugendgespielin nicht über einen rein freundschaftlichen Rahmen hinausgehen könnten. In der Folge wandte sich Ludwig homophil eher männlichen und mimischen Seelenverwandtschaften zu, während seine Minister im Schatten der anwachsenden preußischen Übermacht wenigstens den Anschein einer bayerischen Eigenständigkeit zu wahren versuchten. So oder so waren aber die einst so barocken Töne im Land nach 1866 schriller und schriller geworden.
     
    *
     
    Schrill klang dem nunmehr zwanzigjährigen Georg Jennerwein an seinem ersten Kasernenmorgen auch der Weckruf des Korporals in den Ohren. Grunzend fuhr der Gebirgler im Mief der Mannschaftsstube auf der Pritsche hoch, prellte sich den Schädel am Lattenrost des oberen Stockbettes, erinnerte sich erst dann daran, daß er nicht mehr am Tegernsee, sondern in der Residenzstadt war.
    Der Gestellungsbefehl hatte ihm den Stutzen vorerst aus der Hand gewunden, hatte ihn, zusammen mit anderen Knechten, Tagelöhnern und Waldarbeitern, nach München gescheucht. Von den Bauernsöhnen hatte seltsamerweise kaum einen das Los getroffen. Daß da die Obrigkeit geschmiert worden war, das hatte sich der Girgl mehr als einmal gedacht, während er am Vortag vierzehn Stunden lang von Gmund in die Hauptstadt gelaufen war.
    Wieder ertönte draußen der Kommandoruf, und dann rumpelte der Korporal in die mit zwölf Rekruten belegte Kammer herein. Gerade daß Georg Jennerwein noch den blanken Dielenboden unter die nackten Fußsohlen bekam. Ein paar andere,

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