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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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während unten die Bauernrösser rumorten, durfte der Girgl sich wiegen und hutschen lassen, eine kleine, unbeschreibliche Ewigkeit lang.
    In dieser Nacht ging er unendlich leichten Herzens auf den Öder Kogel zurück. Trank mit den Einschichtigen, die übers Fest in der Baracke geblieben waren, noch zwei oder drei Stamper. Wühlte sich dann ins Bettstroh und träumte von der Geborgenheit. Bis zum Frühjahr trieb er’s mit der Tegernseer Dirn jeden Sonntag. Immer zwischen Mittag und Abend, wenn in der Küche gerade nichts zu tun war. Oder nach dem Abspülen halt, wenn die Vespergäste wieder gegangen waren. Zu Ostern freilich stand die Gretl aus {44} , hatte eine bessere Stellung aufgetan in München. Georg Jennerwein, siebzehnjährig jetzt, litt ein paar Wochen lang schwer.
    Es trieb ihn um, das Wetzen wieder half auch nicht viel. Eine andere wollte er nicht, vorerst wenigstens. Bald entdeckte er wieder die Betäubung durch die Arbeit. Und an den Sonntagen, wenn die Äxte und Zugsägen schwiegen, den Trost im Wald.
    Zur Gindelalmschneid wanderte er hinauf an einem freien Tag im Mai. Föhnig, wie in den Tagen seiner Geburt, hingen über der Felsenkette im Süden die Wolkenbänke. Ins Blut wühlte sich ihm das Windpludern, aber nicht mehr bloß wegen der verlorenen Dirn; urplötzlich war da noch eine andere Sehnsucht in ihm. Ein seelisches Wittern gegen eine namenlose Freiheit hin, ein mentaler Ruch, wie er ihn einst, in der Knabenzeit, auch an der Loisach verspürt hatte. Ein Ahnen war es von einer gegenläufigen Welt; durch das Wissen um den erotischen Rausch, der sich ihm jetzt für immer eingewurzelt hatte, noch verstärkt. Dann, genau in diese ausbrecherische Stimmung hinein, das Balzen des Birkhahns.
    Wie nicht recht gescheit trippelte der halbmetergroße Vogel am Saum der Baumgrenze. Ließ den Kopf rucken in einem nur ihm allein begreiflichen Takt. Verharrte dann plötzlich, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt, und reckte den aufgesperrten Schnabel dem föhnig verschlierten Firmament entgegen. Rauh, in einem seltsam erregenden Rhythmus, brach dem Spielhahn erneut das Kollern aus der Kehle. Im Latschenschutz kauerte Georg Jennerwein und vergaß die ganze Welt. Allein den schwarzweiß Gefiederten, den mit dem prächtigen leierförmigen Sterz sah er noch. Sah den archaischen Tanz, der nicht aus der christkatholischen, sondern aus der heidnischen Zeit herauszutreiben schien. Sah das Unbändige, das Wilde; die reine, brutale, unschuldige Lust am Da-Sein. Während der Birkhahn seine Kreise hinzirkelte, wich die Seele des Siebzehnjährigen in eine Epoche zurück, da das Leben in den Bergen noch schamlos und schauerlich frei gewesen war. Da noch jeder, der sich hier herauf verirrte, das nackte Innere auf dem Antlitz getragen hatte. Ein Sehnen, zurück vor die Tage der vermeintlichen Erbsünde und der kleinlichen Einschnürungen, löste der Balzende im Herzen des Girgl aus, und dann, jäh, riß weiter im Süden der Föhnhimmel auf und badete das Gefieder des Spielhahns in ungeheuerlichem Licht.
    Das Weiß schimmerte schneeig, das Schwarz funkelte höllisch. Und gerade aus dem Höllischen zauberte die Sonne jetzt das Sprühen und Funkeln heraus. Ein Regenbogen ward geboren aus der animalischen Leier; eine prismatische Kaskade, die psychedelisches Klingen und Dröhnen nach sich zu ziehen schien. Eine Brücke wurde geschlagen zwischen Göttlichem und Kreatürlichem, und im jetzt orgiastischen Tanzen des Birkhahns floß das eine mit dem anderen zusammen in eins. Genau als der Einklang erreicht war, löste sich aus dem Latschenschatten die Henne. Im Schurz und Schild seiner Leier barg der Spielhahn sein anderes Selbst. Ein Kreis schloß sich, ein weiteres Spiral wurde geboren. Und dann spiralte es weg über die Lichtung, verlief sich im Unterholz, ließ das Menschenwesen, den Jennerwein, auf der Schneide zwischen Verzückung und Depression zurück.
    Daß doch etwas geblieben war, über das Unfaßbare hinaus, merkte der Girgl erst viel später. Als er, wieder nüchtern geworden, den Fährten der Rauhfüßler ein Stück nachzugehen versuchte, fand er das Pfand. Die Spielhahnfeder, die in der Rage des Balzens abgestoßen worden war. Höllenschwarz, gekrümmt wie ein Säbel lag sie im Moos. Als Georg Jennerwein sich bückte, vermeinte er endlich den greifen zu können, der ihm sein ganzes Leben bloß Phantom gewesen war: den Vater. Den, der das Zeichen getragen hatte; der gekommen und wieder verschwunden war. Der

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