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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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ihm das Pulver trockenhielt, bis er nach drei Jahren wieder heimkam. Unterdrückt fluchte Georg Jennerwein noch einmal in den Stubenmief hinein, dann siegte seine Natur, und er träumte sich, für ein paar Stunden wenigstens, aus der königlichen Kaserne hinweg. Um so entsetzlicher aber war am nächsten Morgen wieder der Sturz zurück in die Realität, als das Organ des Korporals neuerlich in die Mannschaftsstube hereinschrillte.
     
    *
     
    Während der ersten drei Monate hätte der Girgl den Korporal jeden Tag mit Begeisterung umbringen können. In der Tat überlegte er sich ernsthaft, ob er den Schinder abstechen oder lieber erwürgen solle, falls sich ihm einmal die Gelegenheit dazu bot. Manchmal war er soweit, daß ihm noch nicht einmal das Schafott anschließend etwas ausgemacht hätte.
    Im Juli dann verwaberten ihm derartige Rachegelüste allmählich wieder. Denn die Grundausbildung, das Brechen der Persönlichkeit, der militärische Versuch dazu zumindest, war jetzt beendet. Nunmehr sollten die Rekruten zum Töten abgerichtet werden und bekamen deswegen endlich die Schußwaffen.
    Dem Schwindsüchtigen gab der Pulverqualm bald schon den Rest. Nachdem der magere Strick Blut zu spucken begonnen hatte, erklärte der Stabsarzt ihn viel zu spät für untauglich und schickte ihn zurück in sein Dorf. Eine Zeitlang beugten sich beim Gewehrreinigen bloß noch elf Köpfe über die ruppigen Läufe. Deutlich kundiger als die anderen zehn wußte Georg Jennerwein Schloß und Seele {51} seiner Muskete zu behandeln. Wenn er wischte, ölte oder polierte, schlugen diese Tätigkeiten ihm manchmal die Brücke zurück ins Gebirge. Ins stahlkalte Träumen konnte er dann geraten, im Geiste vermochte er wieder zu pirschen, den Fangschuß anzubringen.
    Die Freiheit der Wälder und der Mief der Kaserne wurden ihm, wenn auch trügerisch, in solchen Momenten eins. Sah der Korporal auf dem Schießstand, wie hurtig dieser Rekrut das Kugelende der Patrone abbiß {52} , wie blitzschnell er lud, spannte und feuerte, dann vergaß er aufs übliche Zusammenstauchen, knurrte eher anerkennend. Von zehn Bleigeschossen brachte Georg Jennerwein durchschnittlich acht ins Ziel, ins Blatt. Machte damit in den Augen des Unteroffiziers die Tatsache wert, daß er beim Exerzieren, beim Paradieren weit unter dem Durchschnitt war.
    »In den Krieg wenn’s erst geht, dann zählt das eh nicht«, steckte ihm der Korporal, angetrunken und deswegen leutselig, einmal nach dem Drill. »Dann gilt bloß noch, daß du den Feind herankommen läßt, bis du das Weiße in seinen Augen siehst, und daß du ihn eine Elle tiefer triffst. Ich weiß, wovon ich rede, denn genauso haben wir’s Anno 66 gehalten. Und du, stünden wir erst wieder im Feld, könntest dort draußen zu einem ganz respektierlichen Scharfschützen werden. Könntest sogar einen Orden bekommen und zum Unteroffizier befördert werden!«
    Das Blechzeug, dachte der Girgl, wär’ nicht einmal zum Arschauswischen gut. Und auf die Litzen tät’ ich auch pfeifen. Möcht’ gar keiner werden von diesen schreimäuligen Deppen. Doch er hielt den Mund, weil er’s inzwischen beim Militär so gelernt hatte, und baute zusätzlich, so gut er konnte, sein Männchen. Der Korporal war zufrieden, der Rekrut auch. Der Waffenstillstand zwischen dem einen und dem anderen hatte sich wieder ein Stück mehr gefestigt. Ganz so unerträglich war das Leben in der Kaserne damit nicht mehr. Sogar Ausgang bekamen die Musketenschützen jetzt jeden zweiten Sonntag. Und in Haidhausen hatte der Girgl sich zwischenzeitlich eine Näherin aufgetan; mit der wollte er sich, wenn alles gutging, beim nächsten Urlaub zum ersten Mal vergnügen.
    Er schaffte es auch, doch als er unterm Zapfenstreichblasen zurück ins Quartier hastete, verging ihm das Aufgekratztsein so jäh, als hätte ihm unvermittelt einer einen Magenrempler versetzt. Denn auf der Pritsche, die einmal dem Lungensüchtigen gehört hatte, hockte der Dunkle, mit dem er vor zwei Jahren auf dem Holzplatz bei Gmund zusammengeraten war. Während sich ihm wütend die Brauen runzelten, fiel ihm auch der Name des Schleichers wieder ein: »Du, Pföderl?! Was für ein unguter Wind hat dich denn hergeweht?!« fauchte er ihn an.
    Es stellte sich, freilich eher im Gespräch des Johann Pföderl mit den übrigen Stubengenossen, heraus, daß er gleichzeitig mit ihnen eingezogen worden war, allerdings zu einer Kompanie in einem anderen Kasernenblock. Die Versetzung war vermutlich deswegen

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