Jennerwein
nur vom Gendarmen jetzt gezwängt, sondern zusätzlich noch vom Weihrauch, vom Pfaffen, vom Beichtspiegel, vom entsetzlichen sechsten Gebot (»Hast du Unkeusches getan?! Allein?! Mit anderen?! Wie oft?!«), versuchte der teuflischen Versuchung Herr zu werden. Litt, quälte sich, fürchtete sich der Todsünde – und wetzte zuletzt doch. Verspürte verzückt das Verschauern aller Not für einen seligen, einen paradiesischen Augenblick, hatte aber nachher die Nässe am Schenkel und die verräterischen Flecken am Laken. Geschehen war die Todsünde, und in der Nacht lauerte der Gendarm, lauerten die Prügel, das endgültige Ausgestoßenwerden vielleicht sogar. Der Dreizehnjährige versuchte es wegzureiben mit Spucke; als ihm dies nicht gelang, steckte er in seiner Panik den Finger in den Rachen und erbrach sich über das todsündige Teufelsmal hin. So entkam er der Strafe, der durchaus verdienten, wie er meinte, mußte sich lediglich das Poltern, das Schelten – »SelbstbeherrschungmeinSohn!« – anhören, und die Mutter hatte die eklige Arbeit. Und er schwor sich’s selbst beim keuschen Herzen Jesu, daß sie nie wieder über ihn kommen dürfe, die Todsünde. Hielt aber schon ein paar Nächte später wieder den Sperrigen in der Hand; auf dem Abtritt diesmal. Und spürte, wie es hinunterging auf den ekligen Kothaufen unter der Holzbrille, und leistete erneut den Schwur und hielt ihn wiederum nicht.
Wetzte sich vielmehr in die Flucht vor dem Gendarmen hinein, mehrmals täglich oder nächtlich jetzt oft. Fand das Vergessen und litt ebensooft fürchterlich. Kam mit sich selber überhaupt nicht mehr zu Rande, magerte ab, hatte Pickel im Gesicht, sagte sich, daß die ganz gewiß von der Sünde kämen. Zuletzt dann packte es ihn einmal beim Strammstehen, nachdem er in der Sonntagsschule etwas ausgefressen hatte. Von der Hosennaht stahl sich seine Hand in die Hosentasche, preßte, klammerte sich hinein dort, rieb, drückte und molk, immer hemmungsloser, immer heftiger. Als er es gerade kommen spürte, erwischte ihn in der Gendarmeriestube der Vater. Begriff zuerst gar nicht, begriff dann rotschädelig doch, schlug ihn her, bis er fast die Besinnung verlor, schäumte ihn an: »DubistnichtlängermeinSohn!«
Leider blieb er’s doch, der Hans, weil die Schande für den Gendarmen zu groß gewesen wäre, hätte er ihn wirklich verstoßen. Volle fünf Jahre hatte Johann Pföderl noch durchzustehen. Und in eine ganz besondere Schule nahm ihn während dieser Zeit der Erzeuger; weit über das Strammstehen hinaus.
In einen Patriotenbund führte er den weichlichen Sprössling ein, in ein männerschrilles Gebirgsschützenrudel, einen paramilitärischen Verein. Zwischen Miesbach und dem Tegernsee fanden die Marsch-, Metzel- und Schießübungen statt; gelegentlich nahm auch der Tegernseer Förster, der Mayr {54} ,daran teil. Der und der Gendarm kannten sich noch von der Schule her; als Vorbild stellte der Polizist seinem Sohn den Beamten des Prinzen Karl von Bayern {55} nunmehr bei jeder Gelegenheit hin. Als einen, der seinen Weg gemacht hatte, der es zu etwas gebracht hatte im Leben. Weil er die Pflichterfüllung über alles gestellt hatte. Die Treue zum angestammten Herrscherhaus dazu. Weil er – wie auch er selbst, der Gendarm – den Schädel jederzeit hinhalten würde für den König, fürs Vaterland.
Gedrillt hatte der Gendarm seinen Sohn praktisch von Anbeginn an. Jetzt kam das zweite Knochenbrechen hinzu, das vaterländische, das patriotische. Das noch ärgere seelenzerstörerische Gift, doch das begriff der immer noch Pubertierende selbstverständlich nicht. Durfte er doch schon bald mit der Kugelbüchse knallen, dazu im Rudel rennen und immer wieder ins Hurragebrüll einstimmen. Die markigen Sprüche am Biertisch gingen ihm schon nach kurzer Zeit ein wie das süße Hirnerweichende beim Wetzen. Das brauchte er jetzt bloß noch gelegentlich, immer auf dem Abtritt nun wieder. Oft aber vergaß er den Drang beim Marschieren, beim Brüllen, beim Knallen, beim Saufen mit der königstreuen, der wittelsbachischen Horde. Daß der Bub Bier trank, oft mehr, als er vertrug, nahm der Gendarm seltsamerweise ohne jegliches Rüffeln hin. »Daß aus dir ein Mann wird!« raunzte er vielmehr bei solchen Anlässen aufgeräumt und prostete dem Sprößling noch zu.
Ein Mann werden, das wollte auch der Fünfzehn-, Sechzehn-, Siebzehnjährige. Damit ihm die Geborgenheit im Patriotenhaufen niemand mehr nehmen konnte. Damit er voll und ganz einer von
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