Jennerwein
erfolgt, weil man drüben Überschuß an Menschenmaterial hatte, während in der hiesigen Korporalschaft schon seit einer ganzen Weile der Blutspucker abgängig war, was nun endlich auch der Hauptmann rekognosziert zu haben schien. So war der Pföderl ins Stockbett hart neben dem Jennerwein gelangt, sollte jetzt an dessen Seite marschieren, schießen, exerzieren, fressen und über den Balken scheißen.
»Nachschnüffeln wenn du mir tust oder wenn du mich wegen irgendwas hinhängst bei einem von den Chargen, dann holt dich der Teufel!« raunzte der Girgl, nachdem der andere geendet hatte. »Kapiert?!«
»Ich bin beim Militär, daß ich meine Pflicht tu’«, erwiderte Johann Pföderl; wirkte dabei lächerlich und doch irgendwie stramm in seinem Unterzeug. Und dann kam von draußen der Befehl »Licht aus!«, und jeder der beiden Unterschiedlichen blieb in der Finsternis mit sich selbst allein.
Während Georg Jennerwein sich aber aus seinem Unbehagen heraus schon bald wieder in die Erinnerung an die Näherin flüchten konnte, packte den anderen, den Pföderl, in der noch ungewohnten Stube, unterm noch karbolscharf riechenden Laken jetzt jäh die seelische Leere. Das Hohlsein, unter dem er gelitten hatte, solange er denken konnte; das kotzige Gefühl, das er noch nie einem anderen Menschen einzugestehen gewagt hatte. Weil er doch nach außen hin, als der Obrigkeitsbub, immer ein wenig der Besondere hatte sein müssen; der Bessere, der – ein Quentchen zumindest – stets über der Hefe des Volkes zu stehen hatte. Doch gerade das war immer die inwendige Qual gewesen, das scheuchtsame {53} Nebenherlaufen neben der eigentlichen Welt; das, was ihn nie hatte wirklich warm werden lassen mit dem Leben. Mit dem Vater hing es zusammen, mit dem Uniformierten, und als der Dunkle, der innerlich immerwährend Verspannte dies in der Finsternis dachte, da riß es ihn weg aus der Kasernenrealität und wirbelte ihn rückschauend hinein in den zeitrafferschnellen Mahlstrom seines kläglichen zwanzigjährigen Daseins.
*
Der Vater Gendarm in Miesbach. Ein messinggrell Zugeknöpfter, ein ewig Polternder ins noch so weiche, verletzbare Gesicht des Drei-, Vierjährigen hinein. An das Schimpfen, das manchmal ärger gewesen war als Ohrfeigen, erinnerte sich der Hans; an das Strammstehen auch, das auf dem Polizeiposten für ihn stets die Strafe gewesen war. Strammstehen, stundenlang, die Hände an der Hosennaht. Und sofort das Lineal auf die Finger, wenn er die doch einmal einzukrümmen, zu bewegen gewagt hatte. Stramm und kerzengerade wie diese stahlgeschiente Holzlatte hatte er sein sollen, obwohl er doch fast noch ein Hosenscheißer gewesen war, aber auf seine kindliche Schwäche, seine ganz natürliche, hatte der Gendarm, der Zuchtmeister von Anfang an keine Rücksicht genommen.
Hatte ihn dressiert, ebenso wie die Mutter, die immer bloß vor ihm hatte kuschen müssen. Hatte ihm, zwischen Strammstehen und Strammstehen, grollend seine fragwürdigen Lebensweisheiten mit auf den vermeintlich einzig richtigen Lebensweg gegeben: RechtundOrdnung! AnstandundZucht! BefehlundGehorsam! KönigundVaterland! VaterundSohn! HerrundGescherr!
Übers Lineal gebügelt, über die Floskeln also das Kindliche, das Weiche, das Verletzbare, und der Polizistenbub hatte sich notgedrungen ausgerichtet nach der Latte, der stahlrückigen; hatte es hingenommen, weil er sonst hätte zerbrechen müssen. Hatte aufgehört zu reflektieren, hatte sich – äußerlich strammstehend – im Inneren immer tiefer und kläglicher gebeugt; reflektierte auch jetzt nicht, in seinem Zeitrafferwimmern, seinem seelischen, empfand all dies, was andere vielleicht mit Worten hätten ausdrücken können, nur dumpf, unterdrückt instinktiv; trieb weiter durchs Messinggrellen, durchs feindväterliche, ins Heranwachsen hinein.
Daß er immer das Genick einzog, einen Buckel wie ein Kater machte, hielt die Uniform ihm jetzt vor, als er acht-, zehnjährig geworden war. Daß er nicht gerade stehen könne, ein krummer Schlot sei. Ob das denn die Früchte der väterlichen Mühen seien?! Und der Bub versuchte das Rückgrat zu strecken, hatte dabei aber sofort das Gefühl, daß er zurückscheuen müsse, wenn er den Kopf hob; krümmte sich erneut. Krümmte sich unterm Plärren der bartborstigen Schnauze durchs elfte, zwölfte und dreizehnte Lebensjahr, und zu dieser Zeit wurde ihm unter der Bettdecke das Anhängsel, das Pfui-Dings, das Unaussprechliche sperrig. Der Pubertierende, nicht mehr
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