Jennerwein
später aber begriff er plötzlich alles. Er begriff es, als er das spöttische Funkeln in den Augen des Widersachers sah. Von allem Anfang an hatte der Jennerwein Katz und Maus mit ihm gespielt. Hatte ihn tückisch in die Hoffnung getrieben, hatte ihm die Hoffnung zerschlagen mit Hilfe seines hundsgemeinen Zischeins gleich zu Beginn des Stechens, hatte ihn dann doch wieder nach vorne kommen lassen, hatte ihm den Triumph vor dem Gesicht pendeln lassen – und hatte ihm den Bissen, als er, der Pföderl, gerade danach hatte schnappen wollen, im letzten Moment auf seine hinterfotzige Wildschützenart wieder vom Maul weggerissen. Und jetzt war das endgültige Grinsen an ihm, dem Jennerwein, während er selbst, der Vorgesetzte, der bespöttelte Verlierer war; der Verlierer schon wieder einmal.
Johann Pföderl mußte mit ansehen, wie der Hauptmann dem Hundsfott mit Handschlag gratulierte, wie die Leutnants und die Unteroffiziere ihn hudelten, wie die Mannschaften ihn schließlich dreimal hochleben ließen. Und der Gefreite, der sich genau dies so heiß gewünscht hatte, stand wieder einmal im Abseits und mußte seinen Haß in sich hineinfressen, bis ihm fast das Kotzen kam, bis es ihn unter der Kragenbinde würgte zum Gotterbarmen.
*
In der folgenden Nacht dann brach dieser Haß aus Johann Pföderl heraus. Beim Manöverball geschah es; hinterm Wirtshaus, vor dem Abtritt trafen der jetzt wieder Krummbucklige und der Schiefzähnige zusammen. Als der Jennerwein wieder das Spötteln anfing, sprang der Gefreite ihn an. Ging ihm an die Gurgel wie ein Tollwütiger, wollte den anderen im Dreck, in der Mistrinne kriechen sehen.
Georg Jennerwein freilich, nachdem er die erste Überraschung überwunden hatte, erwies sich als der bessere und erfahrenere Raufer. Hatte das tückische Schlägern schließlich schon zu Haid, als Kind, gelernt. Hatte zu Gelting damit weitergemacht, hatte später, in den Tegernseer Wirtshäusern, die brutale Meisterschaft erworben. Jetzt schlug er den Pföderl, den Vorgesetzten, zusammen nach Strich und Faden. Schlug ihn windelweich, im Kreis einer grölenden Soldateska zuletzt, bis dem Gefreiten nichts anderes mehr übrigblieb, als mit blutverschmiertem Mund um Gnade zu betteln.
So endete das Manöverschießen mit einer weiteren beschämenden Niederlage für Johann Pföderl; alsbald jedoch sollte der Haß in noch ungleich schrecklichere Dimensionen ausufern, und die Schuld daran sollte einmal mehr Preußen tragen.
Menschenschießen
Das erste Signal autokratischen Irreseins in jenem Sommer 1870 kam aus Rom: Papst Pius IX. verkündete auf dem Vatikanischen Konzil das Dogma seiner eigenen Unfehlbarkeit. Etwa zum gleichen Zeitpunkt verfiel auch Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen dem Größenwahn und meldete – auch in seiner Eigenschaft als Verwandter des preußischen Königs Wilhelm I. – seinen Anspruch auf die spanische Krone an. Aus durchaus verständlichen Gründen protestierte daraufhin Frankreich und forderte das preußische und norddeutsche Herrscherhaus auf, den Sigmaringer zurückzupfeifen. Die entsprechende diplomatische Note erreichte Wilhelm I. auf der Kurpromenade zu Ems. Brüsk wies der Monarch den extra aus Paris angereisten Botschafter Benedetti ab. Ein Protokoll über den Affront ging nach Berlin, an Bismarck. Der Kanzler des Norddeutschen Bundes verschärfte eigenhändig den Wortlaut der genannten Emser Depesche und legte seinem König Formulierungen gegen Frankreich in den Mund, die jener so nie gebraucht hatte. In der preußischen Presse wurden die vermeintlich monarchischen Anwürfe gegen Paris am folgenden Tag veröffentlicht.
Dem hirnrissigen Brauch der Zeit folgend, sah sich die französische Abgeordnetenkammer daraufhin unentschuldbar in ihrer Ehre gekränkt. Am 19. Juli erklärten die vorgeblichen Volksvertreter Preußen den Krieg. In Berlin lachte sich Bismarck, der Fälscher und Intrigant, ins Fäustchen. Die Marionetten hatten nach seiner Pfeife zu tanzen begonnen; ganz, wie er es in seiner Tücke vorhergesehen hatte.
Die Mobilmachung der deutschen Armeen erfolgte programmgemäß. Am 31. Juli 1870 marschierte das teutonische Heer, gegliedert in drei Gruppen, an der Grenze im Westen auf. Die Erste Armee, 100 000 Mann stark und unter dem Kommando eines Generals von Steinmetz stehend, lauerte jetzt südlich von Trier. Die Zweite Heeresgruppe, 194 000 Schlachtwillige unter dem Befehl des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, stand bei Mainz. Die Dritte
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