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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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gegenüber vergessen zu haben. »Weil wir nicht zum Schuß kommen werden! Hätten denn die verdammten Franzmänner nicht gegen uns heranplänkeln können?! Jetzt haben die vom ersten Bataillon den Feuerbefehl – und dazu die Ehr’…«
    »Ach so, das hast du gemeint«, versetzte der Korporal. Im nächsten Augenblick verflackerte das Scharmützel auch schon wieder. Die Franzosen zogen sich in Richtung auf Weißenburg zurück, die Kompanie kam aus der Deckung, und während er wieder in Gleichschritt mit dem Miesbacher fiel, fügte der Unteroffizier noch hinzu: »Kannst es wohl kaum erwarten, daß du dich auszeichnest, was?!«
    Johann Pföderl blieb ihm die Antwort schuldig, straffte sich lediglich, rückte das Gewehr vorschriftsmäßig auf der Schulter gerade. Das Bild des perfekten Soldaten bot er, doch im Schädel wirbelte es ihm gleichzeitig wild. Du hast ja recht, dachte er. Hast es genau begriffen! Die Korporalslitzen will ich haben, selbst wenn ich meine Seele dafür dem Teufel verschreiben muß! Vielleicht fällst du, oder du wirst verwundet – dann trete ich an deine Stelle. Dann gehört die Gruppe mir, dann habe ich das Sagen…
    Instinktiv hatte der Dunkle schon gleich bei der Mobilmachung die Chance gewittert, die der Krieg ihm bot. Und das war wie ein seelischer Befreiungsschlag gewesen für ihn; ein vorerst freilich noch theoretisches Durchbrechen aller seiner bislang so kläglichen Horizonte und Erfahrungen. Schon bald würden bloß noch Pulver und Blei zählen, hatte er sich, im Innersten fast epileptisch keckernd, gesagt, und damit würde sich dann alles Widerwärtige in den Abgrund knallen lassen, für immer. Im Schwefelgewölk würde der Gendarm verschwinden; im Kugelfetzen die nie verwundene Tatsache, daß sie ihn damals, 1866, nicht als Freiwilligen angenommen hatten. Und gleichzeitig würde er in die Münchner Weiber, die hurenglitschigen, das Bajonett hineinrennen. Untergehen im Artilleriebersten würde das Manöverschießen und zusammen mit dem der tückische Jennerwein; die Schlägerei im Frühjahr würde nicht mehr gelten, und das Kriechen im Dreck, das er damals hatte üben müssen, würde nun, unter den veränderten Umständen, ins Heldische umschlagen. Denn die Welt hatte sich gedreht, von einem Tag auf den anderen; die Vergangenheit war tot, und alles, worum es jetzt noch ging, war das Menschenschießen. Das Menschenschießen, das ihm die Achtung der anderen eintragen würde, mit dessen Hilfe er die wieder und wieder vergeblich erflehte Anerkennung finden konnte. Und Johann Pföderl, dem seit der Mobilmachung ein Raubtier in der Brust zu lauern schien, spürte jetzt, beim Marschieren, ganz genau, daß er nicht wieder versagen, daß er es endlich schaffen würde.
    So brachte der Gefreite die letzte Etappe des Vormarsches auf Weißenburg stramm wie nie und mit einem seltsam entrückten Lächeln auf den dünnen Lippen hinter sich, und als zuletzt von den Festungswällen herunter erneut die Kugeln zu zwitschern begannen, war Johann Pföderl der erste seiner Abteilung, der das Feuer erwiderte; noch vor dem Korporal und dem Jennerwein hatte er den Musketenhahn aufgezogen und abgedrückt.
    Alsbald wurden die Gewehrläufe heiß. Die Franzosen und die Deutschen verbissen sich tierisch ineinander. Das Kugelhageln schien ein ganz neues, blasphemisches Firmament über das von jeher geschlagene Grenzland zu legen. Unterm Einzel- und Salvenfeuer der Infanterie preschten die Kanonenbatterien nach vorne und nisteten sich im Halbrund um die jetzt bereits rauchverschleierte Stadt ein. Gegen das Bitscher und das Landauer Tor heulten die Granaten. In den Gräben, auf den Bastionen zerplatzten die Schrapnells {58} . Die schwersten Kaliber wurden gegen das Schloß gerichtet. In Trümmer fielen allmählich die Vorstädte und dann der Bahnhof. Den Vormittag über brachten versuchsweise deutsche Infanterievorstöße trotzdem nichts weiter als entsetzliche Verluste ein. Kompanien gab es, die innerhalb weniger Stunden auf die Hälfte ihrer Sollstärke zusammenschrumpften. Das Verrecken blühte auf, tausendfach. Die Einheit freilich, bei der der metzelsüchtige Pföderl stand, geriet allmählich eher an den Rand des blutigen Geschehens. Die Menschenleiber, die er über Kimme und Korn anvisieren durfte, wurden weniger. Gegen Mittag verlangte die Strategie es, daß der jetzt noch klotziger befohlene Infanteriesturm von anderen Kompanien und Regimentern durchgeführt wurde. Die deutsche Artillerie hatte mittlerweile

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