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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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und Trompeten verlorene 66er Krieg dämpfte den oberländischen Patriotismus zumindest für eine Weile ab; angesichts der Särge und der krumm und lahm Geschossenen, die alsbald heimkehrten, schlief der früher so schieß- und prahlwütige Männerbund in der Folge ein.
    Anstatt nach Walhall geriet Johann Pföderl also in jene ruppige Baracke, in der auch Georg Jennerwein, wenn er nicht gerade wilderte, auf der Bretterpritsche fläzte; lange dauerte es dann nicht, bis zwischen dem andeutungsweise Krummbuckeligen und dem Grauäugigen mit der Spielhahnfeder unversehens ein Messer aufblitzte. Noch einmal tauchte daraufhin der Hans beim Mayr auf, und der verhalf ihm zu einer anderen Holzknechtsstelle, im wittelsbachischen Forst jetzt. Die folgenden beiden Jahre schlug sich Johann Pföderl dort durch, buchstäblich, so gut er konnte, bis dann endlich doch noch das militärische Los auf ihn fiel und er sich zum zweiten Mal auf den Weg in eine Münchner Kaserne machen durfte.
     
    *
     
    Und eingefügt hab’ ich mich gut, dachte Johann Pföderl jetzt, in dieser Sommernacht 1868, unterm karbolscharf riechenden Bettzeug. Der Korporal drüben im anderen Block hat schon gewußt, was er an mir hatte, hat mich manchmal sogar schon bevorzugt vor den anderen. Flügelmann hätt’ ich werden können in der Gruppe, wenn die Versetzung nicht gekommen wäre. Und ausgerechnet hierher, wo der andere ist. Der Jennerwein. Der Sieger, der hundshäutene.
    Ob er’s wollte oder nicht, es beutelte ihn seelisch zusammen, den Johann Pföderl, als er dies dachte. Wieder war einer da, der ihn ducken würde, weil er ihn schließlich schon einmal geduckt hatte. Seinen Frieden mit dem Girgl zu machen, das kam dem Hans gar nicht erst in den Sinn. Weil er das Friedenschließen, das Sichaussöhnen im Gendarmenhaus nie gelernt hatte – und auch später nicht. Deswegen quoll ihm auch jetzt nichts hoch als ein dumpfes Haßgefühl in der Kehle und im Gehirn, und aus dem Haß heraus kam wieder dieses entsetzliche, ganz und gar hilflose Gefühl der Unterlegenheit, des Minderwertigseins; das Kreuz, das Leid, die Geißel des Johann Pföderl. Und er biß sich fest an dem, was ihn peitschte und zwängte, und biß und biß, bis er es schaffte, sich selbst das ehrgeizige Versprechen zu geben: Er kriegt mich nicht unter, ums Verrecken nicht, und wenn ich ihn umbringen muß!
     
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    Ums Umbringen, ums Menschenschlachten ging es in der Tat in der königlichen Infanteriekaserne; von Monat zu Monat unkaschierter und brutaler jetzt.
    Nachdem die Korporalschaft, Jennerwein und Pföderl räumlich stets so weit wie möglich voneinander entfernt, in der Handhabung der Musketen auf Vordermann gebracht worden war, ließ der Unteroffizier sie im Herbst dieses Jahres 1868 zum ersten Mal zum Bajonettangriff antreten. Bei dieser Gelegenheit machte der Gemeine Pföderl etliches an militärischem Boden gut. Während der Girgl nämlich über das unwaidmännische Abstechen der Strohpuppen spöttelte und wegen seiner Aufsässigkeit nur haarscharf an einer Urlaubssperre vorbeischlitterte, geriet der Dunkle förmlich in einen Metzelrausch hinein, fetzte die Klinge durch die rupfenen Körper bis ins Pfahlholz, drehte und riß das Bajonett brüllend über Kreuz; ferkelte so meisterlich, daß der Korporal ihn zuletzt vor versammelter Mannschaft belobigte: »Am Pföderl, da müßt ihr euch ein Beispiel nehmen, ihr Lahmärsche! Von dem könnt ihr lernen, wie man’s macht! In den feindlichen Bauch die Klinge bis zum Anschlag! Und dann die Därme herausgerissen! So erledigt das ein guter Soldat, Hosenscheißer, ihr!«
    Johann Pföderl, weil diesmal definitiv die anderen – DER ANDERE – die Minderwertigen waren, nicht er, marschierte an diesem Tag kerzengerade in die Kasernenstube zurück. Und übte im Traum, immer noch einmal, den Bajonettangriff. Am nächsten Tag dann, am Sonntag, gab es Ausgang bis zum Wecken. Dem militärisch Erfolgreichen, dem meisterlichen Strohpuppenmetzler, schwoll der Kamm, schwoll der Schweif. Hinzu kamen das ewige Prahlen des Jennerwein wegen der Näherin, die anzüglichen Bemerkungen der Kameraden wegen der häufigen nächtlichen Streifzüge des Girgl auch. Jetzt, stramm wie noch nie im Leben, wollte es auch der Hans wissen. Seine Uniform bürstete er auf Hochglanz, das dunkle Haar pappte er sich mit Hilfe von Zuckerwasser an den Schädel, dann tigerte er los, in die Stadt.
    Von den Soldatenpuffs wußte er vom Hörensagen, fand nach einer Weile auch eines,

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