Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
Vom Netzwerk:
brauchte aber in der Taverne gegenüber erst drei, vier Schnäpse, ehe er sich wirklich hineinwagte. Betont forsch, betont militärisch gab er sich mit alldem Alkohol im Blut, dachte neuerlich ans Bajonettieren, richtete sich neuerlich daran auf, warf der Hurenmutter die Münzen hin und suchte sich die Strammste, die mit der fleischigsten Wampe heraus. Griff ihr schon auf der Stiege zwischen die Strapse, weil er auf dem Donnerbalken in der Kaserne einmal mitbekommen hatte, daß dies die einzig wahre Methode sei, daß man es den Weibern immer gleich von Anfang an zeigen müsse. Das Juchzen, das er sich daraufhin auf der Treppe einhandelte, ließ ihn freilich eher zurückzucken. Im Bretterverschlag, auf dem versudelten Bett, war’s dann ganz aus. Zwar kam er gerade noch aus dem Uniformrock, aus der Hose, ohne daß ihm die Hände allzusehr zitterten, aber als er zuletzt die aufgestellten Schenkel hautnah vor sich sah, das Schleimige und Haarige dazu, als er das Lachen, das Locken und die Zoten hörte, da war’s ihm, als bekäme er eins mit dem stahlkantigen Lineal über den Halbsteifen, den jetzt jäh und wie unter einem hundsgemeinen Zubiß Schrumpfenden.
    Das Gelächter, spöttisch jetzt, klang ihm nach, als er floh; draußen dann, wie gehetzt die Straße hinunter, die Uniform beileibe nicht vorschriftsmäßig, vermeinte er plötzlich den Jennerwein zu sehen. Den Jennerwein, wie der sich auf der Hure wiegte, wie er’s ihr besorgte, bis sie wie eine Wahnsinnige schrie, und lachen hörte er jetzt nicht mehr die Nutte, sondern schrill den Nebenbuhler, den Sieger, den Feind, und über ihn lachte der Geilbock; über ihn und sein eiskaltes, winziges Anhängsel.
    Die schlimmste Erniedrigung kam später. Im Morgengrauen, kurz vor dem Wecken, auf der Latrine. Johann Pföderl, der Pubertierende, der Unfähige noch immer und schon wieder, hatte sich hergeschlichen in die stinkige Einsamkeit. Und während er wetzte wie damals im Gendarmenklo, während er wenigstens das von der Frau, von ihren jetzt wieder schmerzlich nahen Reizen haben wollte, hörte er draußen den Jennerwein vorübergehen; mit einem Kameraden war der zusammen, und jetzt prahlte er wieder von der Näherin.
    Und Johann Pföderl schwor sich erneut, den Widersacher irgendwann auszustechen; schwor sich’s aus einem kindischen, hirnwütigen Trotz heraus.
     
    *
     
    Mit einem Weib freilich versuchte er es nie wieder in diesem 68er Jahr; auch im 69er und im beginnenden 70er nicht. Doch ein guter Soldat wurde er, ein strammerer als alle anderen. Als erster Gemeiner der Korporalschaft wurde er im Frühjahr 1870 zum Gefreiten befördert, unmittelbar vor den großen Manövern, bei denen General von der Tann {57} in höchsteigener Person kommandierte.
    Ins Erdinger Moos hinaus marschierte der Pföderl mit seinen nagelneuen Litzen; Flügelmann war er jetzt endlich auch geworden. Ganz hinten, diagonal so weit wie möglich von ihm entfernt, lief der Jennerwein. Der Schlot, dachte Johann Pföderl. Der krumme Hund. Aus dem wird nie ein richtiger Soldat. Hat erst neulich wieder über den Zapfen geschlagen. Korporal wenn ich erst bin, dann kommt er mir wegen jedem Dreck in den Arrest!
    Gefreiter war der Pföderl schon jetzt. Also ließ er den Schädel herumrucken, schnauzte diagonal über die Gruppe hin: »Aufschließen, du Lahmarsch!« – und erntete dafür vom Unteroffizier ein stramm militärisches zustimmendes Nicken. Und während der Jennerwein notgedrungen den Schritt beschleunigte, ließ der Pföderl seinen stolzen Blick über die anderen Gruppen hinschweifen, über die Züge, über die ganze Kompanie, und ließ sich im Geiste hineinfallen ins hundertfache Stiefelstampfen und fühlte sich endlich wieder einmal geborgen.
    Stellte im Lauf des Manövers dann auch seine Vorgesetzten zufrieden. Führte seinen Spähtrupp tief ins vorgebliche Feindesland und handelte sich dafür Lob ein. Achtete beim Biwakieren strengstens darauf, daß die Latrinenwände schnurgerade gegraben wurden. Kontrollierte die Wachen nächtens unermüdlich. Brachte einen in den Arrest, weil der auf Posten eingeschlafen war. »Wichser, du!« herrschte er ihn an, ehe er ihn meldete.
    Am letzten Tag der Wehrübung dann erntete der Gefreite Pföderl für seine vorbildliche soldatische Pflichterfüllung den Lohn. Der Korporal kommandierte ihn zum abschließenden Manöverschießen ab. Auf daß er für die Gruppe dabei Ehre einlegen könne. Johann Pföderl baute stramm sein Männchen. »Und als zweiter Mann

Weitere Kostenlose Bücher