Jennerwein
die Stadt mehr oder weniger in Grund und Boden geschossen. Straßenzug um Straßenzug wurde nun von den Nahkampftruppen gesäubert, wie es im Militärjargon hieß. Drei volle bayerische Regimenter schossen und bajonettierten sich durch bis auf den Marktplatz. Die überlebenden französischen Verteidiger zogen sich auf den Geißberg, aufs Schloß dort, zurück.
Draußen, im Weichbild der Stadt, befahl der Korporal dem Pföderl, das Feuer einzustellen. Der Gefreite, das Gesicht schwarz vom Pulverschleim und die Augen rot unterlaufen, gehorchte nur widerwillig. Drüben gingen die massierten Artillerieschläge jetzt auf die feudalen Mauern nieder. Nach dem Sturmreifschießen kam die deutsche Infanterie trotzdem nicht schneller als im zähen Schritt voran. Aus hundert Fenstern und Scharten heraus spie der verwinkelte Palast noch immer Feuer. Ein Major von Kaisenberg fiel mit der Fahne in der Hand; ein Leutnant Simon, der den Fetzen danach an sich brachte, verreckte unmittelbar darauf. Dennoch protzten jetzt immer mehr deutsche Kanonen in unmittelbarer Nähe des Schlosses ab. Die schweren Kaliber kartätschten {59} immer mehr französische Stellungen zusammen. Am frühen Nachmittag ergaben sich die letzten Verteidiger bedingungslos. Gerade noch 200 Mann, viele davon verwundet, kamen mit erhobenen Händen ins Freie.
Ins Gefangenenlager wurden sie abtransportiert, während die Kompanie Jennerweins und Pföderls nahe der Bitscher Chaussee Biwak bezog. Beide Soldaten, obwohl im Charakter so unterschiedlich, besorgten sich Schnaps. Während der Wildschütz jedoch sein ehrliches Entsetzen hinunterzuschwemmen versuchte, trank der Gefreite gegen seinen Frust an. Nur sehr schwer konnte er es verwinden, daß er bloß im Graben gelegen hatte, daß ihm der Sturm gegen das Schloß nicht vergönnt gewesen war.
*
Zwei Tage später allerdings, im Verlauf der Schlacht bei Wörth, durfte Johann Pföderl zum ersten Mal Auge in Auge mit dem Todfeind metzeln. Nahe dem Dorf Fröschweiler war es, wo sich die Kompanie in eine größere französische Einheit verbiß. Durch den schütteren Wald knallten die Schüsse; allmählich löste sich das Gefecht in einen Kampf Mann gegen Mann auf. Einen Turko {60} knallte der Gefreite auf zehn Schritte Distanz ab; die Schädeldecke fetzte er ihm weg mit seiner Kugel. Ein gellender Triumphschrei brach dem Pföderl aus dem Rachen; übers Gewehr stürzte er sich wie über ein Weib, um den Lauf erneut mit Pulver und Blei zu stopfen.
Ehe er die Waffe jedoch wieder schußbereit hatte, brach ein zweiter Dunkelhäutiger aus dem Dickicht. Gleich einem Panther hetzte er gegen den Miesbacher heran, beide Fäuste um den Griff des orientalischen Säbels geklammert. Sein Geschlecht spürte der Gefreite jäh schrumpfen, gleichzeitig aber stand ihm plötzlich das aufgepflanzte Bajonett eisenhart vor den Lenden. So ließ er den Turko auflaufen, hineinrennen in den geschliffenen Stahl; einen Lidschlag, ehe der Säbel ihn selbst köpfen konnte. Wie ein Orgasmus war es, als er das feindliche Fleisch durch die eigene Waffe hindurch fiebern spürte; wieder schrie er grell, dann drehte er das Eisen im Gekröse des jetzt schon Sterbenden, des sich agonisch schon Windenden, der nun auf einmal unter ihm lag wie ein Weib. Schwer wurde es ihm, sich, seinen eisenkalten Penis dazu, wieder herauszureißen aus dem blutübersudelten Leib; er schaffte es letztlich nur, weil das Metzeln ihn weiterriß, ins neuerliche Schlachten, ins neuerliche Abwürgen, in die neuerliche blasphemische Klimax hinein. Neben der Muskete, dem Bajonett trug er jetzt auch den Säbel des Turkos bei sich, führte ihn neben den ihm angedrillten Waffen wie im Rausch und zählte seine Opfer nur noch unbewußt im ungeheuerlichen mental-mörderischen Schrillen, bis irgendwann der Blutrausch verflachte, bis ihm ein Trompetensignal ins Gehirn schmetterte, das scharfe Tremolo zum Rückzug, und er sich widerwillig, unendlich widerwillig, aus der satanischen Erfüllung zu lösen hatte.
Der Militärbericht meldete später, daß es beim Kampf um die Fröschweiler Höhen weder für die Franzosen noch für die Deutschen einen Sieg gegeben hatte; im Fall des Johann Pföderl allerdings traf dies nicht zu. Er hatte gesiegt, er hatte sich bewiesen, er hatte den Feind unter sich gehabt, hatte getrampelt, geschossen und bajonettiert, und dafür wurde ihm später, im Biwak, auch die Anerkennung zuteil; dafür stand er jetzt unangefochten im Mittelpunkt. Die Kameraden –
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