Jennerwein
hast doch nicht etwa das Versteck verraten…?!«
»Ein paarmal hab’ ich schon dran gedacht«, murmelte die Blonde, und plötzlich schien doch wieder ein Quentchen von damals in ihren Augen zu schlieren. »Verdient hättest du es, du Hallodri! Aber dann hab’ ich mir gesagt: Warum die alten Sachen aufrühren? – Brauchst keine Angst zu haben, Girgl! Das Gewehr liegt immer noch hinterm Wandbrett. Kannst es mitnehmen, und ich werd’ weiter den Mund halten, wenn du mich in Zukunft bloß in Ruhe läßt. Mußt mir aber schwören, daß du es nie jemandem verrätst, wo die Büchse war die ganze Zeit über!«
»Sollt’ ich’s etwa dem Oberneder stecken?« schnappte der Girgl bitter gegen sie hin, und dann war er auch schon in der Schlafkammer drüben und zog den lockeren Nagel heraus. »Manchmal hab’ ich den Stutzen sogar eingeölt«, sagte, während er das Brett wegdrehte, die Mirl in seinem Rücken. »Ganz so, wie du es mir damals angeschafft hast.« Wieder war das Frühere, andeutungsweise zumindest, in ihrer Stimme, und genau das machte für den Grauäugigen jetzt alles noch schlimmer. Die Doppelbüchse riß er an sich, den Beutel mit der Munition und der Feder. Und raunzte noch ein »Vergelt’s Gott!« über die Schulter zurück und war draußen und sah den gescheckten Himmel über den Bergkuppen, wie eine wilde Verheißung, wie eine Aufforderung zum Ausbrechen, und unter dem archaischen Firmament lockte der Wald, lockte das Wild.
Mittagszeit war’s, Sonntag dazu; die Tegernseerjäger hockten zu dieser Stunde ganz gewiß beim Wirt, beim Bier – darauf hätte der Girgl Stein und Bein schwören können. Also ließ er einen grellen Lacher hören, und dann hastete er wiederum durch das Tal und drüben auf den Gaßler Berg hinauf. Dort witterte er sich nach drei Jahren wieder hinein in die Wildnis und paßte sein Schleichen erneut den kaum sichtbaren Pirschpfaden an – und zuletzt erreichte er den Bockeinstand hart unterm Gipfel. Er lud die Büchse in der Deckung einer graubärtigen Tanne, und dann brauchte er nicht mehr lange zu lauern; der Gabler kam ihm wie von selbst genau ins Visier, der Schuß knallte, die Kugel ging mitten ins Blatt.
»Sauhund!« schrie der Jennerwein hinunter zum milchdunstigen Wasserspiegel, nach Wiessee hinüber, wo irgendwo der Oberneder war, der ihm das Fleisch der Mirl weggestohlen hatte. Aber jetzt hatte der Girgl das andere Fleisch zum Ausgleich, und er brach den Kadaver auf und hatte nichts verlernt. Ehe er sich die Beute in Ermangelung eines Rucksackes über die Schulter warf, steckte er sich die Spielhahnfeder wieder hinters Hutband, lachte und fluchte unter dem säbelkrummen Schwarzweiß noch einmal hinunter in die Jägerwelt und floh dann leichtfüßig zurück ins Schlierseer Revier.
Am Huberspitz, südlich von Hausham, wartete er die Nacht ab, schlich erst dann im Schutz der Dunkelheit weiter bis zu seiner Kate. Auf dem nur hüfthohen Dachboden, über der spinnwebenverkleisterten Luke, fand er ein geeignetes Versteck für den Stutzen. Das Bockfleisch verwahrte er vorerst in einer steinigen Grube unterm Brunnengrand {68} . Anschließend schlief er noch ein paar Stunden, packte sodann ungefähr zwei Drittel des zerteilten Wildprets in den Rucksack und langte nur knapp nach dem Wastl und dem Lorenz auf dem Pürstlingschlag an.
»Da! Weil ihr’s nötiger habt als die herausgefressenen Herren oder die Jäger!« Mit diesen Worten warf er, während zwischen den Baumstämmen noch die Nebelschwaden schlierten, den beiden Holzknechten das ihnen Zugedachte hin. Weder der Wastl noch der Lorenz fragte viel. Ohnehin sprach die Spielhahnfeder, die der Girgl plötzlich am Hut trug, Bände. Aus dem Restarchaischen heraus, das jeder arme Gebirgler im Herzen trug, entstand im Handumdrehen ein stillschweigendes Einverständnis. »Vergelt’s Gott!« murmelte der Lorenz und machte sich gleich darauf daran, den wieder zugezurrten Rucksack unter einem Rindenhaufen vor neugierigen Blicken zu schützen. »Heut nacht, wenn die Frau den Braten fertig hat, dann bist selbstverständlich unser Gast!« lud der Wastl den Jennerwein ein. Und außerdem hatte der Wildschütz auch noch das Glänzen in den Augen der beiden Abgerissenen zum Dank.
Im Westenhofener Gütlerhaus dann, unterm mondbestrahlten Schindeldach, hockten sie lange beisammen. Auch der Lorenz war noch herübergekommen mit seinem Weib, und nun, beim Enzian, begann er auf einmal zu lamentieren. »Einen doppelt so hohen Taglohn bräuchten
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