Jennerwein
eigene Faust, den deutschen Großmachtsträumen jetzt noch Widerstand, doch im Lauf des Septembers und dann des Oktobers ergaben sich auch die dort noch liegenden Truppen.
Der Korporal Pföderl stand vor Metz Gewehr bei Fuß und hatte seine Gruppe stramm im Kreuz, als die 187 000 Soldaten Bazaines unter jetzt schon herbstlichem Himmel kapitulierten.
Später marschierte der Unteroffizier weiter in Richtung Paris; allerletzte französische Einheiten wurden auf dem Weg dorthin geschlagen, und noch einmal durfte Johann Pföderl auf Menschen schießen und sich im jetzt immer leichter zu erringenden militärischen Ruhm sonnen.
In der Januarmitte 1871 dann besetzten deutsche Truppen das Schloß Versailles, und am 18. dieses Monats kam es im berühmten Spiegelsaal zur Gründung des Deutschen Reiches. Die süddeutschen Staaten, vom Sieg berauscht, stimmten einer dauernden Vereinigung mit dem Norddeutschen Bund zu; lediglich Ludwig II. von Bayern machte Sperenzchen, bis dann der Bismarcksche Emissär Graf Holnstein die Tatsache ausnützte, daß der Monarch sich nach einer Zahnextraktion auf Schloß Hohenschwangau im Äthertaumel befand, und dem Hirnweichen die entsprechende Unterschrift auf diese Weise doch noch zu entlocken vermochte. {65} So also wurde das Deutsche Reich geboren aus dem Metzeln und verschiedenartigen Betäubtheiten heraus, und aus dem Blut-, Champagner- und Ätherdunst empor stieg König Wilhelm von Preußen zum teutonischen Kaiser auf; Bismarck wurde zum Reichskanzler ernannt.
Der Preis war eine generationenlange Erbfeindschaft {66} , dazu kamen Zehntausende von Toten und Verwundeten, seelisch Gebrochene und Verbogene wie Johann Pföderl außerdem. Doch dies scherte die Hurraschreier im Spiegelsaal von Versailles nicht, und auch nicht viele unter den einfachen Soldaten begriffen, was in Wahrheit und ungeschminkt geschehen war. Sie begriffen es nicht – oder aber verdrängten das Wissen schleunigst wieder, denn nunmehr hatten sie ja den Sieg in der Tasche, den Triumph und den Ruhm. Am 28. Januar 1871, als das nunmehr nationale Heer in Paris einzog, sahen sie die Fahnen flattern und durften sich am eigenen Stiefeltrampeln besaufen bis zum Gehtnichtmehr, und auch die Kaiserkrone war jetzt da, und mit der war der Traum von einem besseren Leben ins zuvor meist so graue Dasein der Landser gelangt, und deswegen verschlossen sie jetzt nur zu gern die Augen vor der kürzlich noch erlebten Realität – und hielten sie geschlossen, als sie nach dem Friedensschluß zuletzt heimkehrten; als Helden.
Die meisten zumindest handelten so, ganz ohne Zweifel der Pföderl; vielen aber gingen die Augen dann alsbald schmerzlich wieder auf, und zu denen gehörte, schon im Frühjahr 1871, Georg Jennerwein.
Die Unterschwaig
Beim Wirt zu Gmund hockte der Girgl, über der fünften oder sechsten Maß Bier schon. Auch etliche Stamperl Enzian hatte er geschluckt; rauschig war er, obwohl der Nachmittag noch in seinem vollen Licht stand. Jetzt schrie er nach weiterem Schnaps; als der Schenkkellner der Einfachheit halber gleich die ganze Flasche herantrug, hielt der abgehalfterte Feldzugsteilnehmer ihn am Lederschurz fest und rüsselte ihn an: »Hol dir auch ein Glasl, dann setz dich her zu mir, und hilf mir beim Saufen! Weil’s eh nichts Besseres zu tun gibt, weil eh auf alles geschissen ist!«
Der Bräubursche ließ sich’s nicht zweimal sagen; auch ihm schien heute eine Laus über die Leber gelaufen zu sein. Mit dem Girgl stieß er an, einmal, dann gleich noch einmal. Nachdem er einen satten Rülpser losgeworden war, erkundigte er sich: »Der Sägemüller hat wirklich zu dir gesagt, daß er dir keine Arbeit mehr geben kann?!«
Georg Jennerwein, rotgeädert die Augäpfel, ein grimmiges Sträuben im Schnauzer, brannte sich eine Virginia an, eine getaufte {67} . Durch den Qualm hindurch raunzte er sodann beleidigt: »Das Holz bringen s’ jetzt über die französische Grenze herein. Reparationen nennen sie’s. Auf gut bayerisch: Es kostet ihnen nichts, den großen Herren. Zahlt ja alles der Welsche. Und bei uns, im Gebirg’, liegen die Schlagstätten deswegen tot da. Am Öder Kogel geht nichts mehr, am Gaßler Berg auch nicht. Bloß am Schwärzenbach hat der Sägemüller noch ein paar Leute im Lohn. Aber das sind die, die schon immer bei ihm gewesen sind, seit fünfzehn, zwanzig Jahren schon. Die mit den Kindern und den Weibern am Hals. Die brauchen halt den Lohn noch nötiger als die Junggesellen, die heimgekommenen
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