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Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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befolgt und hatte sich als Freiwilliger und Ausbilder in die Stammrolle der Kompanie eintragen lassen. War zum Schleifer geworden; am selben Schauplatz, da man ihn einst selbst geschliffen hatte, und hatte den neuen Rekruten sein Credo, sein Vaterunser vorgebetet Tag und Nacht: »Wir, die von Gravelotte und Sedan, wir haben den Kopf hingehalten fürs Vaterland! Für euch auch, ihr Scheißer! Ihr Wichser! Aber was wißt denn schon ihr davon?! Grünschnäbel seid ihr, müßt’s erst noch lernen! Der Unteroffizier bringt’s euch bei! Exerzieren lass’ ich euch, bis euch das Wasser im Arsch kocht! Die Hammelbeine ziehe ich euch schon lang! Stillgestanden, ihr Falotten! In den Dreck, ihr Himmelfahrtspolizisten! Das Gewehr… über! Daß ihr Ehre einlegen könnt für den Kaiser, beim nächsten Krieg!«
    Gefürchtet war der Pföderl gewesen, im ganzen Kasernenblock. Stramm und scharf wie kein anderer, hatte er dafür gesorgt, daß nach dem Krieg und dem Sieg nicht etwa das Nachdenken oder gar der Pazifismus sich einwurzeln konnten in den Gehirnen der Jüngeren. Er hatte sie geschliffen, bis sie den gefallenen Onkel oder den verkrüppelten Vetter über der eigenen Erniedrigung und Erschöpfung vergessen hatten; das blasphemische Spiel all derer hatte er getrieben, welche die Myriaden Kriege der Menschheit überlebt hatten; welche sodann brüllend gleich wieder angetreten waren, um die stummen Stimmen der einzig Kompetenten, der Toten nämlich, zu übertönen.
    Das war die satanische Aufgabe des Ordensträgers gewesen in seinem vierten und letzten militärischen Jahr, und bei den Oberen in der Garnison war er bestens angeschrieben gewesen deswegen; einen Trottel hatten sie an ihm gehabt, von der ganz und gar willfährigen und hirnlosen Art; einen, der aus dem blutigen Trott nicht mehr herausgefunden hatte und nie wieder herausfinden sollte, und im zwölften Monat seiner so erfolgreichen Schleiferzeit hatte der Pföderl von seinen Gottsöberen auch den irdenen sowie den papierenen Lohn für seine Taten bekommen.
    Ein Reservistenkrügl hatte ihm feierlich der Hauptmann überreicht; einen glasierten Keferloher, mit Gewehren, Säbeln, Soldaten und dazu dem Namen des Korporals verziert, und später, nachdem der Pföderl schon rauschig gewesen war, hatte der Kompaniechef ihm im Kreis der anderen Chargen befohlen: »Halt’ Er ihn in Ehren, Sein Leben lang! Sauf Er daraus jeden Feierabend, und denk’ Er dabei an Seine Kameraden!« Johann Pföderl, schwimmenden Auges angesichts der Herablassung des Offiziers, hatte es feierlich geschworen.
    Die papierene Schützenhilfe hinsichtlich seines künftigen Lebens hatte ihm am nächsten Tag der Spieß {71} ausgehändigt. Daß er bevorzugt in den staatlichen oder auch den wittelsbachischen Zivildienst zu übernehmen sei, hatte der Pföderl, wiederum mit feuchtem Blick, aus dem Dokument herauslesen dürfen. Schnurstracks war er daraufhin zur königlichen Forstverwaltung in München gelaufen; nach Tegernsee hatte man von dort aus telegraphiert, und wenig später schon war aus dem Gebirge die Antwort eingelaufen: Sehr wohl, und er könne seinen Dienst jederzeit antreten. Daß ausgerechnet der Revierförster Mayr den Revers unterzeichnet hatte, wenn auch nur in Form kruder Morsesignale, hatte den verdienten Korporal noch zusätzlich befriedigt.
     
    *
     
    »Glück hast du gehabt!« sagte der Mayr jetzt, während sich draußen die Sonne auf dem firnigen Märzschnee spiegelte, zu seinem neuen Jagdgehilfen. »Hätte der Irlberger Anno 70 nicht den Granatsplitter in die Schulter bekommen, dann wäre keine Stelle bei mir frei geworden. Nach der Entlassung aus dem Lazarett, bis zum letzten Winter, hat er seinen Dienst noch zufriedenstellend versehen können, der Irlberger. Aber dann hat’s inwendig zu eitern angefangen bei ihm, und jetzt liegt er im Spital, wird wohl nicht wieder aufkommen.« Der Förster räusperte sich rauh, schnaubte; zumindest bei ihm schienen die Kriegsmonate moralische Wirkung gezeitigt zu haben; das Patriotische von einst schien sich seit 1866 noch ein Stück mehr abgeschliffen zu haben.
    »Man muß halt Opfer bringen können für das Reich!« tönte, dickfellig, der Pföderl. »Ich hab’s auch getan, hab’ den Kopf immer an vorderster Front hingehalten!«
    »Schon recht«, wiegelte der Ältere ab. »Aber im Krieg stehen wir nun glücklicherweise nicht mehr. Das Schießen im Forst ist ein anderes als das, was du in Frankreich gelernt hast! Für jede Kugel wirst du mir

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