Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jennerwein

Jennerwein

Titel: Jennerwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
Vom Netzwerk:
wir, daß wir die Teuerung ausgleichen könnten!« jammerte er. »Wenn du verheiratet bist und hast die Bamsen {69} dazu, dann langt’s seit dem Krieg hinten und vorne nicht mehr. Schinakeln mußt du vom Morgen bis zum Abend, aber in der Schüssel hast du trotzdem nichts anderes als Erdäpfel. Für den Schnaps, daß du die Not halt auch einmal vergessen kannst, machst du Schulden beim Wirt. Dafür dann scheißt dich am Sonntag, von der Kanzel herunter, der Pfarrherr zusammen. Verlangt aber gleichzeitig von dir, daß du noch mehr Kinder in die Welt setzen mußt. Die laufen dann in den Haderlumpen herum, und ein Schuhwerk kennen sie nur vom Hörensagen. Aber diejenigen, die dir dann zusätzlich die Steuern aufhalsen, scheren sich einen Dreck drum. Die schicken dir höchstens den Gendarmen ins Haus oder lassen dir den Kuckuck auf die Bettstatt kleben, wenn du nicht zahlst.«
    Mit der verarbeiteten Faust drosch der Gütler auf die Tischplatte, fing aus der gleichen Bewegung heraus die schwankende Schnapsflasche auf, schenkte sich, dem Girgl und dem Wastl nach, fluchte ausgiebig dabei und setzte dann noch hinzu: »Rundum alles ist schlimmer geworden seit dem Krieg! Vorher ist’s recht und schlecht gerade noch umgegangen; da waren wir Gütler und Holzknechte zwar auch die armen Hund’, aber direkt aus dem letzten Loch gepfiffen haben wir nicht. Das ist erst gekommen, wie die Soldaten ausgerückt sind, und ist noch schlimmer geworden seit dem Sieg über Frankreich und der Gründung des verdeixelten Deutschen Reiches, das von uns Kleinen eh keiner gewollt hat! Einen Kaiser haben sie gemacht, die Deppen, die neuen Steuern und die Teuerung dazu, aber daß uns Hundshäutenen einer einen Heller mehr in der Stunde bezahlen würde, das gibt’s nicht; nicht ums Verrecken!«
    »Weil wir das Lumpenpack sind – und die anderen eben die Herren«, grunzte der Wastl. »Und so wird’s bleiben bis in alle Ewigkeit, außer, es hat einer den Mut und mandelt sich auf {70} dagegen…«
    Auf den Jennerwein schauten sie plötzlich, die beiden Gütler im Taglohn und dazu ihre Weiber, und der Girgl begriff, was sie ihm sagen wollten. In der Wut und in der rebellischen Lust sträubte sich ihm der Schnauzer, schien auf einmal der schiefe Zahn im Kienspanlicht zu blecken, und dann erwiderte er: »Daß die Großkopfeten uns drücken, das ist die eine Sach’! Daß ich sie dafür mit meinem Stutzen tratzen werde, die andere! – Werdet jetzt öfter einen Braten im Rohr haben, das schwör’ ich euch! Und andere arme Teufel in der Schlierseer Gegend auch; braucht mir nur zu sagen, wo die Not besonders groß ist. Und jetzt saufen wir noch einen drauf. Daß die Obrigkeit verreckt! Daß das Lumpenpack lebt!«
     
    *
     
    Wort hielt Georg Jennerwein; von jener Nacht an pirschte er im Schlierseer Revier nicht weniger eifrig als vor dem Krieg drüben im Tegernseer. Im Morgengrauen, in der Abenddämmerung, oft auch in den hellen Mondnächten visierte er unter der Spielhahnfeder heraus über Kimme und Korn. Die Holzknechte, bald nicht mehr bloß der Wastl und der Lorenz, beschrieben ihm die verschwiegenen Steige und behielten auch die Jäger im Auge, so daß sie den Girgl bei Gefahr rechtzeitig warnen konnten. Dafür bekamen sie dann den Rehrücken oder den Gamsschlegel auf den Tisch, und was dem Wilderer übrigblieb, über die Not der Ausgeschundenen hinaus, das brachte er auch jetzt wieder zu den Wirten; gewann auf diese Weise weitere Freunde. So lebte er sich renegatisch und wohltätig ein in seinem neuen Gäu, während das Jahr 1871 in den Sommer und dann wieder in den Herbst und den Winter kam.
    Als die Berge dann freilich unter der Schneekruste lagen, sah sich der Grauäugige gezwungen, seine verbotenen Kreise weiter als bisher zu ziehen, damit die eigenen Fährten zurück in die Unterschwaig leichter zu verbergen waren. Deswegen geriet Georg Jennerwein jetzt öfter auch wieder in die Tegernseer Gegend hinüber, und als der Schnee im März 1872 firnig wurde, traf dort im Haus des Revierförsters Mayr einer ein, der erst jetzt die Uniform ausgezogen hatte; allerdings nur, um möglichst sofort in eine andere zu schlüpfen.

Die Geierfeder
     
    Johann Pföderl, Korporal, Kriegsheld und Ordensträger, hatte sich nach dem Metzeln, nach dem vermeintlichen Sieg über DEN FRANZMANN, für ein volles weiteres Jahr nicht vom Militärischen loszureißen vermocht. Im Frühling 1871 nach München zurückgekehrt, hatte er pflichteifrigst einen Wink des Hauptmanns

Weitere Kostenlose Bücher