Jennerwein
Milchkühen an der Deichsel rumpelte unter der mageren Herbstsonne dahin, seit fünf Stunden schon. Neben den Tieren her liefen Maria Jennerwein und ihr Bankert. Die Alte ließ die krampfadrigen Beine hinten von der polternden Bretterplatte hängen. In ihrem Rücken schwankten die beiden Schränke und die Einzelteile der abgeschlagenen Bettstellen. Strohsäcke und Tuchzeug waren dazwischengepackt. Irdenes Geschirr stieß sich womöglich die Ränder wund in der heugepolsterten Kiste. Am Wiesbaum {15} oben, heute nicht übers Grummet {16} sondern über die Kleinmöbel gebengelt, baumelten etliche Petroleumlampen. Eingemachtes, Zwetschgen- und Apfelmus, lockte gelegentlich eine späte Hummel an. Schräg hinaus über die rechte Wagenleiter schnitt ein Sensenblatt in den zirrengemaserten Himmel; ein abgedengeltes Stück Schäbigkeit, bezeichnender als alles sonst auf dem ungewöhnlichen Kammergefährt {17} .
In aller Frühe, im ersten Morgengrauen waren sie aufgebrochen zu Haid. Der Trödeljude aus Miesbach, der verachtete Kerl, war ihnen am Tag zuvor behilflich gewesen beim Aufladen. Er hatte ihnen auch versprochen, das an Gerümpel und Kroppzeug, was im Schuppen und im Stall hatte zurückbleiben müssen, später noch an den Mann zu bringen. Das abgewirtschaftete Gütl selbst war für einen schlechten Preis an einen Münchner Viehhändler verkauft worden, ebenso die Kleintiere. Vom Juden hätten wir wahrscheinlich mehr bekommen, hätte der bloß das Kapital gehabt, dachte Maria Jennerwein, während die Rinder dumpf trottend die letzte Wegkehre vor der Tattenkofener Isarbrücke nahmen. Gletschergrün in seinem Kiesbett gurgelte der junge Fluß daher. »Hüh!« rief die Endzwanzigerin, ließ gleichzeitig die Schnurgeißel schnalzen. Die Alte, ohnehin schon ängstlich den ganzen Vormittag über, bekreuzigte sich fahrig, als der Leiterwagen über den Bohlensteg schwankte.
Ein Stück hinter dem Dorf dann, als sie an einer Böschung hielten, um das karge Mittagsmahl einzunehmen, brach plötzlich die Treibjagd über sie herein. Aus dem Auwald heraus die Bracken und Stockburschen. Über den Gries heran wie ein kreatürlicher Rechen, prügelnd und blaffend. Dahinter die Großkopfeten; bestiefelt, lodengrün. Der erste Hase stand auf, unmittelbar nach ihm drei, vier weitere im schütteren Rudel. Flinten knallten los im Stakkato, schleimige Pulverdampfwolken quollen zäh himmelwärts. Ein Dutzend Sprünge vor der Böschung kobolzte eine Häsin sich in den eigenen Tod. Ein waidwund geschossener Rammler, bloß den Lauf zersplittert, quiekte auf wie ein Kind, ehe der Hetzrüde über ihn kam und ihn totbeutelte. Die Gewehrträger reichten den Jägern frische Flinten. Der letzte Hase schaffte es nicht mehr ganz, sich unter den Kammerwagen zu flüchten, verendete eine Mannslänge vorher.
Georg Jennerwein, vom Anblick des Metzeins gekitzelt zunächst, fuhr erschrocken zurück. Suchte unwillkürlich den Schutz der Mutter. Ehe er ihn aber wirklich fand, war auch schon einer der Treiber heran, pfiff den zuschnappenden Hund zurück, brachte den blutbesudelten Balg an sich, schlenkerte ihn aus und spottete gegen den Zehnjährigen hin: »Paß nur auf! Nächstes Mal erwischt’s dich…«
Der Bub starrte, mit schmalen Augen; ganz wie früher, wenn er sich mit den Größeren angelegt hatte. Instinktiv spürte Maria, wie dünn der Faden jäh wieder geworden war. Sie hastete zu ihm hin, packte zu, schien ihn am geschürzten Rock bergen zu wollen; in Wahrheit hielt sie ihn, brutal fast, zurück. Der Stockbursche grinste, lief weiter, den rotfleckigen Balg jetzt in der Ledertasche. Die anderen Treiber, die Jäger überwanden die Böschung ein Stück weiter hinten. Erst als der Gries sie wieder einschluckte, kam der Zehnjährige zuckend zu sich, schüttelte er sich aus der Erstarrung. Auf den Schwarzbrotkanten, den er nach wie vor in der Hand hielt, stierte er, fragte dann: »Warum machen sie das? Warum jagen sie? Sie sind doch eh schon herausgefressen genug!«
Als nicht gleich eine Antwort kam, bohrte er die Fußspitze in den zähen Herbstlehm und setzte, schrill jetzt, hinzu: »Wir hätten’s nötiger! Wir haben fast nie einen Braten auf dem Tisch! – Und ich, wenn ich ein Gewehr hätt’, ich tät’ den Hasen auch richtig treffen, nicht bloß am Lauf…«
»Tu dich nicht versündigen!« schnappte die Alte. »Das Wildern ist verboten! Das Schießen ist bloß was für die Reichen!« Georg Jennerwein sinnierte lange, zerkrümelte dabei wie
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