jennissimo (German Edition)
ein Mann, der aus seinen Fehlern gelernt hatte.
„Wie warst du vor deiner Scheidung?“, fragte sie.
„Wie meinst du das?“
„Bevor du in dich gegangen bist und aus deinen Fehlern gelernt hast.“ Wobei sie das Gefühl hatte, dass er nicht sehr schlimm gewesen sein konnte.
Er kaute, schluckte. „Nach der Geschichte wirst du mich sicher nicht gerade mehr mögen als jetzt.“
„Das Risiko gehe ich ein.“
„Aber ich vielleicht lieber nicht.“ Er legte sein Sandwich auf den Tisch. „Sagen wir mal so: Ich war ziemlich frühreif und habe das gründlich ausgenützt.“
„Du warst der Mädchenschwarm in der Highschool?“
„Ich bin mit Mädchen ausgegangen, die nicht mal der Kapitän der Footballmannschaft rumkriegen konnte. Dann beschloss ich, Arzt zu werden, einerseits wegen des Geldes, aber vor allem, weil ich dachte, das würde es mir bei den Frauen noch leichter machen.“
Sie musste an Dr. Mark denken. Wahrscheinlich stimmte das.
„An der Uni war es mehr oder weniger dasselbe.“ Er sah sie an. „Das Studium ist mir sehr leichtgefallen, somit hatte ich jede Menge Freizeit. Man sollte ja meinen, so viel geschenkt zu bekommen, würde einen dankbar machen. Aber ich nahm mir einfach alles, was ich wollte, und danach ging ich davon, ohne noch einmal zurückzublicken. Ich habe überall, wo ich war, eine Spur gebrochener Herzen hinterlassen.“
Jenna versuchte, weder überrascht noch enttäuscht auszusehen, obwohl sie beides war.
„In den Semesterferien vor dem Junior Year hat meine Großmutter mich mit nach Indien genommen. Das war immer ihr großer Traum gewesen. Meine Eltern wollten nicht, dass sie allein fährt, also hab ich mich angeboten, sie zu begleiten. Ich dachte, es würde ein großes Abenteuer werden – vor mir lag ein ganz neuer Kontinent voller Frauen.“ Er verzog den Mund. „Auf der Uni hatte ich die meisten Studentinnen schon vernascht.“ Er schob sein Sandwich zur Seite. „Allerdings wusste ich nicht, dass meine Großmutter ganz andere Pläne für mich hatte. Sie war entschlossen, mir eine Lektion in Mitgefühl zu erteilen. Also wohnten wir nicht etwa in einem luxuriösen Strandhotel, sondern ich musste in einer Klinik für die Ärmsten der Armen arbeiten. Die Menschen dort verhungerten, die Hygiene war eine Katastrophe. Überall Ungeziefer und unfassbarer Lärm. Als ich früher aufhören wollte, sagte meine Großmutter, dass dies die andere Seite der Medizin wäre. Und zwar die Seite, die wirklich zählte. Und dass ich mich vor Lepra in Acht nehmen sollte, die es in Indien noch gäbe und das durch sexuellen Kontakt übertragen würde.“
„Stimmt das?“
„Durch Körperflüssigkeiten, am ehesten durch Nase und Mund. Es ist nicht sehr ansteckend, aber das wusste ich zu dieser Zeit nicht. Also passte ich lieber auf.“ Er zuckte mit den Schultern. „Diese Reise hat mich verändert. Ein Junge, mit dem ich mich anfreundete, hatte einen Unfall. Sein Bein war zerschmettert. Ich war dabei, als es ihm abgenommen wurde, mit einer ganz normalen Säge und unter minimalster Betäubung. Vom Essen und vom Wasser bin ich krank geworden, und dann überall diese Menschenmassen … Es war der längste Monat meines Lebens – und in gewisser Weise auch der beste. Als ich zurück nach Hause geflogen bin, war ich ein anderer Mensch. Mich interessierten die Dinge, die ich vorher so wichtig fand, einfach nicht mehr. Jetzt wollte ich Arzt werden, um den Menschen wirklich zu helfen.“
Er grinste. „Nur um dann nach dem Studium alles stehen undliegen zu lassen und in China Alternativmedizin zu studieren.“
„Du heilst aber immer noch Menschen.“
„Ja, aber nicht auf traditionelle Weise. Ich habe begriffen, dass es auf eine Frage verschiedene Antworten gibt. Durch meine Reisen habe ich viel gelernt und kann meine Patienten besser behandeln. Zu schade, dass ich diese Lektion nicht auch für mein Privatleben lernte.“
„Ist deine Frau denn nicht mit dir gereist?“
„Sie wollte nicht in solche Länder. Hätte ich Kurse in Paris besucht, dann wäre sie bestimmt mitgekommen. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse mich zwischen ihr und meiner Arbeit entscheiden. Für sie war ich ein Ehemann, der nie zu Hause war, und wenn er doch mal für ein paar Tage vorbeikam, gab er ihr zu verstehen, dass seine Arbeit viel wichtiger war als sie.“
Jenna krümmte sich innerlich. „So was ist furchtbar!“
„Dein Mann war genauso?“
„Manchmal. Er ließ mich immer wissen, dass alle anderen
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