Jenny heftig in Noeten
hatte.
Natürlich hatte er keine Ahnung. Er konnte nicht wissen, wie viel Mühe ich mir jedes Mal mit Cara gegeben hatte, wenn sie heulend aufs Klo gestürzt ist, wie viele ihrer Tränen ich schon getrocknet hatte, wie viele Ratschläge ich ihr gegeben hatte (von denen sie nie einen beherzigte). Er wusste nicht, dass ich Annie von »Fragt Annie« war und wie viele von Caras Briefen ich schon beantwortet hatte. Er wusste nicht, wie viel schlimmer Cara womöglich dran wäre, wenn es mich nicht gäbe.
Und er hatte keine Ahnung, wie es war, ich zu sein. Nämlich total anstrengend. Wenn ich bedenke, um was ich mir alles einen Kopf machen muss: um Cara, meine »Fragt Annie«-Kolumne, die Sache zwischen Trina und Steve, die Entführung von Betty Ann und dann noch die Armschwenkerei bei den Troubadours…
Eigentlich ein Wunder, dass ich morgens überhaupt noch aus dem Bett komme.
Ich muss zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hatte, Luke am nächsten Morgen wiederzusehen. Hey, er hatte die totalen Schwierigkeiten gehabt, wach zu werden, an unserer Schule wurde kein Espresso verkauft, dafür gab es Salisbury Steaks zu essen, und Leute wie Cara Fettkuh wurden gequält – man wird verstehen, dass ich davon ausging, er hätte die Schnauze voll. Vielleicht nahm er die Schauspielerei ja tatsächlich ernst, aber wer würde unter solchen verschärften Bedingungen weitermachen – noch dazu als Millionär?
Deshalb hätte ich mich um ein Haar an meiner eigenen Spucke verschluckt, als er am nächsten Morgen ins Latein-Klassenzimmer schlenderte. Statt des Footballtrikots trug er jetzt ein Hemd, das aus einer mexikanischen Decke genäht zu sein schien und in dessen offenem Ausschnitt eine dieser Muschelketten baumelte, wie sie Surfer immer umhängen haben. Die hässlichen Turnschuhe hatte er gegen hippe Wildledersneaker von Puma ausgetauscht.
Außerdem war es ihm irgendwie gelungen, Espresso aufzutreiben… oder zumindest einen großen Milchkaffee in einem Pappbecher. Er sah tausendmal wacher aus als am Vortag.
»Hey, Jen«, begrüßte er mich und glitt geschmeidig in den Stuhl hinter mir.
Ganz ehrlich, ich war geschockt. Was machte er hier? Ich war sicher gewesen, er würde nicht wieder kommen. Ganz sicher.
Aber er war wieder da. Er war kein bisschen abgereist.
Ich drehte mich zu ihm um (zum Glück hatte es noch nicht geklingelt und es saßen noch nicht so viele Schüler im Raum) und flüsterte: »Was machst du denn hier?«
Luke sah mich durch seine Brillengläser erstaunt an. »Wieso fragst du? Ich bleib doch zwei Wochen. Haben die dir das nicht gesagt?«
»Äh, doch schon«, flüsterte ich. »Aber ich hätte gedacht… ich dachte…«
»Dass mir bei meiner Intelligenz ein Tag Recherche reicht?« Luke lächelte. Es war dasselbe Lächeln, das weltweit Herzen hatte schmelzen lassen, als er es der von Angelique Tremaine verkörperten Guinevere zugeworfen hatte. Und ich muss gestehen, auch mir lief ein Schauer über den Rücken.
Was mich allerdings nicht davon abhielt, zu sagen: »Luke…«
»Lucas«, korrigierte er mich.
»Dann eben Lucas. Du… ich meine, es war doch offensichtlich, dass du es hier total zum Kotzen findest.« Und weil ich das Gefühl hatte, es sagen zu müssen, sagte ich noch: »Und mich auch.«
Das Lächeln erstarb. »Wovon redest du, Jen? Ich hab dich nicht zum Kotzen gefunden.«
»Aber ich dachte, wegen Cara…«
»Ja, okay.« Er verzog das Gesicht. »Das war nicht so toll. Aber dann hast du mich so zur Sau gemacht, dass ich… neugierig wurde.«
»Neugierig? Worauf? Außerdem hab ich dich nicht zur Sau gemacht«, fügte ich schnell hinzu. »Ich hab bloß…«
»Dampf abgelassen, ich weiß. Trotzdem.« Er hob den Deckel von seinem Kaffee, dessen durchdringendes Aroma mir sofort in die Nase stieg. »Ich bin gespannt, wie es weitergeht.«
Ich starrte ihn entgeistert an. »Wie was weitergeht?«, fragte ich. »Ich versteh nicht, was du meinst.«
Aber mehr erfuhr ich nicht, weil es in diesem Moment klingelte.
Ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, Luke und ich wären nach dieser kleinen Aussprache ein Herz und eine Seele geworden wie Lanzelot und Guinevere. Es gab immer wieder Momente, in denen er die Stirn runzelte… besonders wenn es gar keine Veranlassung zum Stirnrunzeln gab. Zum Beispiel wenn Courtney Deckard und ihre Busenfreundinnen im Gang an uns vorbeiflanierten und ihren Blick bedächtig von Lukes Schuhen den Körper entlang hinaufwandern ließen, ihm tief in die Augen schauten
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