Jenseits aller Tabus
hatte, Platz.
Lucille beeilte sich, Alex’ Kaffeetasse zu sich zu ziehen, damit McCarthy den Alkoholgeruch nicht wahrnahm.
In seiner Stimme lag etwas Bedrohliches, als er fragte: »Decken Sie Jack Caruso, Miss Dawson?«
»Wie bitte?« Augenblicklich versteifte sie sich.
»Wir suchen ihn schon lange. Er ist untergetaucht. Mir wurde ein Foto, das in Florida aufgenommen wurde, von ihm gezeigt. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass es sich um ein Standbild aus der Überwachungskamera am Eingang des Bellamy-Anwesens handelt.« Tadhg McCarthy trommelte auf dem Tisch.
Wollte er sie nervös machen? Oder sollte diese Geste zeigen, dass sein Geduldsfaden zu reißen drohte? Sie fragte sich, ob er einen Special Agent in der Villa eingeschleust hatte, um sie zu beobachten. Wie sollte er sonst an die Fotografie gekommen sein?
»Caruso war in der Bellamy-Villa«, sagte er scharf und neigte sich über den Tisch zu ihr. »Ganz in Ihrer Nähe. Welch ein Zufall!«
Da sie sich nicht zu den Vorwürfen zwischen den Zeilen äußerte, hörte er auf zu trommeln und schlug stattdessen mit der Faust auf den Tisch, sodass der Milchschaum auf ihrem Cappuccino überschwappte und am Tassenrand herunterlief. »Hat er Sie dort besucht? Hat er sich unter einem Vorwand Zugang zum Anwesen verschafft, um sich heimlich mit Ihnen zu treffen? Planen Sie, gemeinsam mit Caruso die Geschäfte Ihres Mannes weiterzuführen?«
Lucille stand kurz davor, aus der Haut zu fahren. Aber sie befürchtete, dass eine heftige Reaktion wie ein Schuldbekenntnis aussehen könnte. Um Zeit zu gewinnen und sich eine Antwort zurechtzulegen, scheuchte sie eine Wespe weg, die sich gerade auf dem Rand ihrer Tasse niederlassen wollte, neigte sich nach vorn und trank einen Schluck Kaffee.
Plötzlich berührte etwas ihr Haar. Instinktiv griff sie sich an den Hinterkopf, da sie befürchtete, einer dieser großen schwarzen Käfer, die in Florida aufgrund des feuchten Klimas leider allzu prächtig gediehen, könnte auf ihr gelandet sein und sich in ihrem Schopf verfangen haben, doch da war nichts. Etwas musste über sie hinweggeflogen sein und sie dabei gestreift haben. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie ein kleines Loch in der Rückenlehne ihres Stuhls und die erschreckten Gesichter des Paares am Nachbartisch.
Im nächsten Moment brach die Hölle los. McCarthy riss Lucille zu Boden und zog die Schusswaffe aus seinem Schulterholster.
Der Mann am Nebentisch schrie: »Ein Heckenschütze«, und riss seine Frau hoch. Er zerrte sie so panisch hinter sich her, dass sie auf ihren hohen Schuhen immer wieder stolperte. Zwischen den Stühlen kauernd beobachtete Lucille fassungslos, wie alle Coffeeshop-Besucher aufsprangen und davonliefen, einige kreischten. Die Kellnerin ließ einfach ihr Tablett voller Teller und Tassen fallen und eilte zurück ins Café. Ein Jugendlicher sprang sogar über die Kaimauer in das Wasser des Jachthafens.
Ein zweiter Schuss fiel; er streifte Lucilles Oberarm und riss ihre Bluse auf. Blut tränkte den weißen Stoff, aber seltsamerweise spürte sie keinen Schmerz. Als wäre es nicht ihr Arm, schaute sie auf die Schusswunde. Im ersten Moment fühlte sie sich wie eine unbeteiligte Beobachterin, doch dann wurde ihr mit einem Mal die ganze Tragweite dessen, was gerade geschah, bewusst, und sie begann heftig zu zittern.
Jemand schoss auf sie! Lucille konnte den Schützen nicht sehen, aber die Schüsse kamen aus der Richtung, in die Alex Fisher gegangen war.
McCarthy warf den Bistrotisch, an dem sie gesessen hatten, um und rollte ihn wie ein Schutzschild vor Lucille. Für ihn selbst war dahinter kein Platz. Er gab einige Schüsse ab, um sie zu decken. »Machen Sie sich ganz klein.«
Gerade als er sich streckte, um einen zweiten Tisch umzuwerfen, traf ihn ein Schuss. Das Loch in seiner Stirn war nicht größer als einer der Knöpfe an Lucilles Bluse, Blut sickerte heraus und lief über sein rechtes Auge. Leblos brach er neben Lucille zusammen. Sie zerrte ihn zu sich und prüfte, ob noch ein Puls zu spüren war – zu schwach. Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie fröstelte und bekam kaum noch Luft, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt.
McCarthy starb in ihren Armen.
Der unsympathische Special Agent, für den sie immer eine Verdächtige geblieben war, hatte sein Leben für sie gegeben. Sie schüttelte unentwegt ihren Kopf. Ihr Oberkörper wiegte vor und zurück.
Nur entfernt nahm sie wahr, dass eine Salve von Schüssen in den Tisch, hinter dem sie
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