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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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gerichtet. »Würden Sie etwas ausführlicher wiederholen, was Sie mir vorhin in Kürze gesagt haben?«
    Marconi warf einen konzentrierten Blick auf seine manikürten Fingernägel. »Ja, natürlich.« Er deutete auf die drei Fotos vor ihm. »Ich hatte an Silvester in Venedig zu tun. Dieses Mädchen hielt sich am Silvestermorgen vor dem Schaufenster meiner Boutique auf. Wie sie dastand, erkannte ich, dass sie eine Mitfahrt suchte. Wissen Sie, wir finocchi haben da ein besonderes Gespür. Sie nahm also Platz in …«
    »Finocchi? Finocchio?«, fragte Agnes, die den Ausdruck nicht kannte. »Ist das etwas Berufliches?«
    Marconi lachte. Mariedda lachte wie auf Kommando mit. »Erklären Sie es ihr«, forderte der Padrone sie belustigt auf.
    Drei Sekunden später hatte Agnes ihren Wortschatz um den Begriff »Schwuler« erweitert. Sie errötete bis unter die Ohrmuscheln.
    »Sie nahm also Platz in meinem Lamborghini. Sie schien sich wohlzufühlen –«
    »Eine Frage«, fiel Agnes ihm ins Wort. »Hatte die junge Frau« – auch sie deutete auf die Fotos – »Gepäck dabei?«
    Marconi nickte in derselben Sekunde und tätschelte sein Knie mit der Hand. »Ja. Einen Rucksack und eine Tasche. Grün-blau gestreift. Oder grün-weiß. Oder blau-weiß.«
    »Aha. Fuhr Selma bis Venedig mit?«
    »Nein. Sie wollte schließlich nach Germania . Ich hab sie an einer Raststätte kurz vor Verona abgesetzt. Von dort aus konnte sie mühelos über die Brennerautobahn nach Norden mitgenommen werden. Sie hat sich freundlich bedankt.« Er tippte auf beide Wangen. »Dann hab ich ihr Gepäck ausgeladen und bin weitergefahren. Ich konnte ja nicht wissen, dass die junge Frau ermordet wird.«
    »Eine letzte Frage noch«, sagte Agnes. »Können Sie sich erinnern, wann Sie Selma dort abgesetzt haben? Wie spät war es?«
    Sie erntete ein sanftes Lächeln. »Selbstverständlich«, antwortete der Geschäftsmann. »Es war ziemlich genau Mittag. Zwölf Uhr mittags. Am Silvestertag.«
    Was Waller kurze Zeit später von Agnes erfuhr, machte ihn um Welten schlauer. Sie kannten nun eine weitere Station, an der Selma sich aufgehalten hatte. Sie mussten lediglich herausfinden, wie es von dort aus weitergegangen war. Sollte kein Problem sein, dachte er.

Rosenheim – Bozen – Innsbruck, Mittwoch, 5.   April 2000
    »Wir selbst kamen nicht weiter«, bemerkte Dr.   Gamper, der Vizepräsident der Landespolizeidirektion Südtirol, am Telefon gegenüber Ottakring. »Wir wollten schon eine Hellseherin aus dem Bozener Oberland einschalten. Das tun wir öfters. Nicht jedes Mal mit Erfolg. Aber in den letzten zehn Jahren hat es sich bestimmt schon fünfmal ausgezahlt. Einmal ist eine supersportliche Bankangestellte verschwunden, als sie den Ortler bestiegen und auf der Payerhütte übernachtet hatte. Als sie am nächsten Tag noch nicht zu Hause war, rief ihr Mann besorgt die Polizei. Die Hellseherin hat uns die Stelle genannt, wo wir die Frau finden würden, tot oder lebendig. Am Ufer eines exakt beschriebenen Bergsees fand ein Suchhund ihre Leiche. Sie war nackt bis auf eine karierte Wollsocke, das Gesicht zu Boden gewandt, niederkniend, als habe sie um ihr Leben gebettelt. Beide Augen ausgestochen. Ich will nicht weiter in Einzelheiten gehen. Es war eindeutig das Verdienst dieser Hellseherin, dass wir die Frau überhaupt fanden, da droben in den Bergen.«
    »Ja, ja, der Ortler-Fall.« Ottakring hatte diese Methode noch nie versucht. Seiner Meinung nach sah eine Hellseherin nur eines: nämlich dass ihr Kunde durch eigene Unfähigkeit bestach. »Und im Fall der Amelie Bartz war demnach keine Hellseherin am Werk?«
    »Nein. Die Politik hat es unterbunden. Wir vermuten noch immer, dass es sich bei dem Täter um einen Einheimischen handeln müsste, der mit der Gegend gut vertraut war. Und – Sie werden sicher verfolgt haben, dass die junge Frau, als sie bei den Großeltern in Gargnano abgereist ist, ihren Hund dabeihatte. Dieser Hund ist bis heute nicht aufgetaucht. Weder tot noch lebendig.«
    Einer aus der Gegend. Das würde meiner Theorie vollkommen widersprechen, dachte Ottakring. »Sie gehen also davon aus, dass Täter und Opfer sich möglicherweise gekannt haben? In unserem Fall der Frau aus Sardinien, die in München tot aufgefunden wurde, dürfte das nicht zutreffen. Wir müssen davon ausgehen, dass Selma Ruspanti per Anhalter von Genua weggefahren ist. Ob sie unterwegs getötet wurde oder erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist vorläufig nicht

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