Jenseits der Alpen - Kriminalroman
SoKo Alpen im Polizeigebäude versammelt. Wochenende gab es in diesen Tagen keines. Ottakring kam etwas außer Atem als Letzter ins Sitzungszimmer. Er blickte in müde Gesichter mit fragenden Mienen und sah ein, dass er seine eigenen Interessen ein wenig zurückstellen musste.
Dass seine Mitarbeiter vor allem neue Energie tanken mussten, das zu vermitteln war seine Pflicht. Er wusste aus Erfahrung, dass bei jeder Ermittlung irgendwann ein Punkt eintrat, wo alles Selbstvertrauen und alle Energie aufgebraucht zu sein schienen. Ottakring schloss weder aus, dass bei denen, die da vor ihm saßen, dieser Augenblick gekommen war, noch, dass er ein Teil der Ursache dafür war.
»Wir müssen auf breiter Front vorgehen«, begann er. »Ohne vorgefasste Meinungen und konsequent. Was wissen wir bisher?«
»Drei junge Frauen wurden ermordet«, rief ihm Jenny Galland, die Anwärterin, auf Anhieb zu. »Und sie waren vorher ver…« Wie ein verschämter Teenager blickte sie um sich.
Mayr war es, der ihr beisprang. »Ganz richtig«, sagte er. »Der Täter ist bei der Tötung grausam vorgegangen. Das ist ein gemeinsames Merkmal. Ein anderes ist die Nähe zu Autobahnen, wo die Leichen aufgefunden wurden.«
Tom, der junge Rosenheimer, nickte. »Wir wissen, dass Selma ihre Schwester Marta in Bielefeld besuchen wollte. Sie hatte vor, längere Zeit bei ihr zu bleiben. Wahrscheinlich ist –«
»Wir wissen jetzt definitiv, dass sie per Anhalter von Genua nach Verona und Bussolengo und von dort weiter nach Norden gekommen ist«, fiel seine Kollegin Ina ein. »Und dass möglicherweise ein Fernfahrer ihr Mörder ist. Serienmörder gehören meist Berufen an, die viel unterwegs sind. Insofern ist Fernfahrer ein guter Beruf für einen Serienmörder. Wir müssen also herausfinden …«
Eberl, dem alten Recken, wurde das Hin- und Herwerfen der Bälle zu bunt. Er stand am Kaffeeautomaten und ließ eine leere Tasse am Henkel kreisen. »Blablabla«, meinte er. »Alles, was ihr sagt, ist doch altbekannt. Von Waller und Agnes wissen wir, dass die Selma nach einem Streit von ihrem Ehemann nach Genua –«
»Alles altbekannt«, warf Werz trotzig ein. »Wir haben es wahrscheinlich mit einem Serienmörder zu tun. Und während wir hier sitzen und Däumchen drehen, plant er vielleicht schon …«
»… die nächste Tat«, übernahm nun Ottakring die Gesprächsleitung wieder. »Die drei Opfer hatten nichts miteinander zu tun. Und der Täter hat sich von Süden nach Norden vorgearbeitet, bis er in München angekommen ist.« Er hielt kurz inne und schaute in die Runde.
Keiner gab mehr einen Kommentar ab.
»Ich fürchte, dass Werz recht hat. Wir müssen das Tier einfangen, bevor es noch einmal zuschlägt.« Ottakring stand auf und ging zu den Rosenheimern hinüber, die nebeneinander auf ihren Stühlen saßen.
»Dass wir ihn also so rasch wie möglich fassen müssen, ist klar. Jetzt noch eine Sache«, begann er. »Dass die Identifizierung der Leiche von Ramersdorf so lange gedauert hat und dass es uns noch nicht gelungen ist, den Mord an Selma zu klären, ist bei den Medien auf Unverständnis gestoßen. Von den beiden Auslandsmorden, die wir im Visier haben, haben sie noch keinen Wind bekommen. Und das möchte ich auch vermeiden. Bis auf Weiteres möchte ich, dass Ina und ich den Kontakt zur Presse übernehmen. Ina wirkt gut und kann ausgleichen. Sie hat alles, was mir fehlt.« Seine Äußerung rief keineswegs den gewünschten Lacher hervor.
Dem jungen Matthes legte er eine Hand auf die Schulter. »Selma Ruspanti wurde am 2. Januar gefunden. Kurz vorher wurde ihre Handtasche auf dem Parkplatz Angath bei Wörgl abgelegt. Bitte fordern Sie für die Tage ab Silvester ein Wettergutachten an. Schwerpunkt sollen Niederschlagsart, -menge und -dauer sein. Wir nähern uns einem entscheidenden Punkt.«
Ottakring wollte die Sitzung gerade beenden, als sein Mobiltelefon klingelte. Alle Mitglieder der SoKo konnten sehen, wie sich Ottakrings Miene während des Gesprächs veränderte.
»Warten Sie!«, ordnete er an, als er es beendet hatte, und hob beide Hände wie zum Stopp. Mehr sagte er nicht.
Es dauerte zwei, drei Minuten, da schwang die Tür zum Sitzungsraum zurück, und ein Fax wurde hereingereicht. Es bestand aus einem Bild.
»Das ist er«, sagte Ottakring, und in seiner Stimme schwang Anerkennung mit. »Ein Phantombild, gefertigt von der Questura in Genua. Die Zeugin ist Kellnerin in einem Fernfahrerlokal, die den Mann gesehen hat, der Selma
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