Jenseits der Augenlider: Garandors Licht (German Edition)
die Waffe sich nach der Schlacht noch im Besitz der Zwerge befand, war dass Latenor, als er noch an der Seite der Völker des Ostens in den Kampf zog, diese Waffe verteidigt hatte. Er verstand, wie wichtig sie für die Zwerge war, als Symbol der Stärke, der unbändigen Macht ihres Königs. Alle anderen Kleidungsstücke und das restliche Hab und Gut Taranúrs hatte Torabur verbrannt. Eine Erinnerung, ein Memento mori, genügte.
Latenor; Toraburs Gedanken hatten sich so starr um die Gefährten gekreist, dass er sich noch keine Gedanken darüber machen konnte, warum dieser mächtige Elf die Seiten gewechselt hatte und nun über den finsteren Westen herrschte. Als Latenor noch auf ihrer Seite stand, hatte der Elf nie den Anspruch auf eine besondere Stelle oder Position erhoben, weshalb sich der König der Zwerge auch nicht vorstellen konnte, dass dieser Königstitel der Grund für seinen Verrat war. Die einzige Möglichkeit, die Torabur akzeptieren konnte, war dass er vergiftet oder durch einen mächtigen Zauber manipuliert worden war. Niemals würde ein Elf so einen schweren Verrat begehen.
Müde zog Torabur sich aus und legte sich auf sein Bett. Nach wenigen Augenblicken drang der Schlaf in den Schädel des Königs ein, als ihn ein unglaublich aufdringliches und kräftiges Hämmern an der Tür weckte. Etwas gereizt erhob sich Torabur und stapfte brummend zur Tür. Die Verblüffung spiegelte sich in seinem Gesicht wieder, als er sah, wer vor ihm stand.
XXIII
„ Was war das?“ stöhnte Garandor verstört. Waldoran und Dante sprangen in Deckung, als der rauchende, schwarze Klumpen von einem ohrenbetäubendem Knall begleitet, in das Gebirge stürzte und einen dichten Schleier aus dunklem Rauch hinter sich herzog. Im selben Moment durchströmte Waldoran eine Energie, die seine Knochen beinahe schmelzen ließ. Er erschauderte und spürte das elfische Äquivalent einer Gänsehaut. Weder Dante noch Garandor bemerkten es, doch seine Pupillen und seine Iriden wurden für den Bruchteil eines Herzschlages schwarz. Er sah das Objekt vor seinem inneren Auge in die Tiefe stürzen, bevor eine halbmondförmige, goldene Feder vor seinem Auge aufblitzte. Er konnte die Feder keinem Wesen zuordnen, doch spürte einen gewaltigen Sog, der ihn erbarmungslos zu ihr befahl. Er musste in das Gebirge, sie mussten die Feder finden, koste es, was es wolle.
Der Zwerg versteinerte inmitten des Weges, während sich Waldoran – und wenige Augenblicke später auch Dante – von ihrer Furcht und ihrem Staunen befreit hatten und Garandor von der Straße zerrten. Der Menschenkrieger wiederholte die Frage des Zwergs, während Waldoran umgehend in Gedanken versank, nachdem sie erneut in den Schutz des Waldes geflüchtet waren. Wie in Trance saß der Elf im Schneidersitz auf dem kalten, feuchten Boden. Dante und Garandor, welcher ebenfalls in die Realität zurückgefunden hatte, wechselten flüchtige Blicke und entschieden – verwundert, verängstigt – zu warten, bis ihr Führer erwachte. Ohne ihn konnten sie unmöglich weiterziehen.
Urplötzlich sprang Waldoran auf.
„ Nun, Waldoran. Was hast du uns zu berichten.“ erkundigte sich Dante eher ungeduldig als neugierig, die Frage des Satzes verdeckt durch eine flache Angst.
„ Ich habe mich mit den Bäumen unterhalten. Ihr immenses Wissen hat sich mir geöffnet und ihre einzige Erklärung lautet, dass soeben ein Schatten auf die Erde stürzte. Allerdings haben sie mir auch anvertraut, dass etwas Anderes, Stärkeres auf Santúr gelandet ist, von dem sie nicht wissen, was es zu bedeuten hat. Sie haben so etwas noch nie erlebt; kein gutes Zeichen.“ Mit diesem ungewohnten, ungemütlichen Schwall aus Worten, klaubte der Elf seine wenigen Mitbringsel zusammen und lief eiligen Schrittes auf die Straße zurück.
„ Folgt mir.“ rief er über den Rücken blickend.
„ Waldoran, warte.“ wandte Dante ein. „Sollen wir nicht einen anderen Weg einschlagen? Wenn selbst die Bäume sich fürchten, möchte ich vermeiden, mich diesem Etwas zu nähern.“ Die Stimme Dantes zitterte unruhig.
„ Nein. Ich möchte diesen Schatten finden, bevor Latenor ihn erreicht. Ihr müsst mir vertrauen.“ Der Nachdruck des letzten Satzes bewegte seine beiden Gefährten dazu, sich widerstrebend auf den Weg zu machen und dem strapaziösen Marschtempo des Elfen zu folgen. Eine furchteinflößende Aufgabe, welche sowohl Dante als auch Garandor den Atem raubte. Die langen,
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