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Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Jenseits der Eisenberge (German Edition)

Titel: Jenseits der Eisenberge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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leidenschaftlich eingeprügelt hatte. Da war eine beharrliche Stimme, die davon sprach, diesen kleinen Jungen mit ein paar Ohrfeigen auf seinen Platz zu verweisen. Er hörte nicht auf sie, sondern ergriff den Holzlöffel und begann, seine Suppe zu essen. Obwohl sie so dünn war, schmeckte sie gut, nach für ihn fremde Gewürze und Kräuter. Ausgehungert, wie er war, vergaß er alles andere um sich herum, bis er den letzten Tropfen ausgekratzt hatte. Erst danach blickte er wieder hoch und fand sich Auge in Auge mit dem zornigen jungen Mann.
    „Mein Name ist Tiko“, sagte er, „ich bin Irlas und Arkins Sohn. Es heißt, du bist irre. Wenn ich das Gefühl behalte, dass du uns in Gefahr bringst, wirst du heute Nacht draußen schlafen. Das überlebst du nicht lange, verstehst du?“
    Lamár schüttelte langsam den Kopf. Er hatte noch immer das Bedürfnis, diesen kleinen Wichtigtuer loszuwerden. Doch er fürchtete sich vor dem, was dann geschehen könnte, und noch viel mehr vor dem Gefühl, dass ihm diese Art von Angst eigentlich fremd war. Wenn er sich bloß erinnern könnte!
    Tiko lächelte spöttisch.
    „Die Aufseher haben strikte Anweisung, diese Hütten nur zu betreten, wenn es absolut unumgänglich ist. Nachts ist diese Hütte unserer wichtigster Schutz. Jeden, den die Aufseher nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Hütten aufgreifen, benutzen sie für ihren Spaß . Das dürfen sie nicht, natürlich nicht. Ein toter Sklave ist wertlos. Wenn aber niemand da ist, der es ihnen verbieten könnte, und niemand, der diejenigen anklagt, die es getan haben, können sie ungestraft damit weitermachen.“
    Lamár senkte den Blick und schüttelte erneut den Kopf. Er unterdrückte die Wut auf dieses Kind – das war nicht Tikos Schuld, nichts von dem, was hier geschah, war Tikos Schuld. Seine eigene allerdings auch nicht.
    Er gab die Schüssel zurück und sagte leise: „Danke für das Essen, und dass ich bleiben darf.“
    „Hab ich das gesagt?“
    Etwas an Tikos Unterton ließ Lamár hochfahren. Er blieb still stehen, lauerte auf die nächste Reaktion des Jungen, der nun ebenfalls aufsprang.
    „Kannst du dich beherrschen, wenn die Wächter dich angreifen? Es heißt, du bist ein Söldner gewesen und hättest es dir bereits mit Mattin verscherzt. Bleibst du auch dann ruhig, wenn er dich schlägt?“, zischte Tiko, packte ihn am Arm und drückte zu. Lamár wehrte sich nicht, zwang sich zu völliger Ruhe, obwohl er sich leicht aus dem Griff hätte befreien können. Die Kraft des jungen Mannes erstaunte ihn allerdings – rein von der Stärke her war Tiko ihm weit überlegen. Mit der richtigen Technik spielte das keine Rolle.
    „Ich werde euch nicht gefährden“, knurrte er so beherrscht wie möglich, knirschte dabei mit den Zähnen, um den Schmerz nicht zu zeigen. Tiko drückte weiter zu, hielt dabei unaufhörlich Blickkontakt, bis Lamár glaubte, seine Knochen brechen zu hören.
    „Schluss jetzt!“, mischte sich plötzlich ein schlanker dunkelhaariger Mann, etwa in Lamárs Alter ein. „Es reicht, Tiko, lass ihn los!“, befahl er.
    „Geht dich das etwas an, Orchym?“, erwiderte Tiko respektlos, gab Lamárs Arm allerdings frei.
    „Treib es nicht zu weit“, sagte Arkin müde, der neben Orchym trat. Die beiden Männer setzten sich wieder, Tiko blieb hingegen mit verschränkten Armen stehen. Lamár wollte etwas Beschwichtigendes sagen, doch da begann die Welt sich plötzlich zu drehen, farbige Muster tanzten vor seinen Augen.
    „Darf ich mich hinlegen? Mir ist nicht wirklich …“
    Noch während er sprach, überfiel ihn Übelkeit und die Schmerzen seiner Wunden meldeten sich vehement zurück. Er schwankte und wäre gestürzt, wenn Tiko nicht rasch zugegriffen hätte. Überrascht von dieser Bewegung zuckte Lamár zurück, aber er besaß nicht genug Kontrolle über sich selbst, um sich vor dem Jungen zu schützen. Tiko schlug jedoch nicht zu, wie Lamár es erwartet hatte, sondern half ihm, sich hinzulegen. Von irgendwo her zauberte er eine dünne Decke, die er über Lamár legte.
    „Schlaf!“, befahl der Junge. Er lächelte nicht, aber der Blick, mit dem er Lamár musterte, war weniger feindselig als zuvor. Es gab nicht viel Platz in dieser Hütte, kaum genug für so viele Menschen. Lamár war zu erschöpft, um sich daran zu stören, dass er dicht an dicht mit Fremden zusammengepackt war. Im Gegenteil, es hatte etwas Tröstliches an sich, Wärme und Nähe spüren zu dürfen. Diese Sklaven waren keine Feinde. Es

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