Jenseits der Eisenberge (German Edition)
merken kannst?“
Pocils Spott berührte Lamár nicht, was ihn selbst verwunderte. Er wusste, der oberste Aufseher wollte ihn provozieren, mehr nicht. Er wollte sich nicht provozieren lassen. Arkin sollte heute Abend stolz auf ihn sein und Tiko nicht länger zweifeln, dass der Neue keine Gefahr für sie war!
„Ich weiß es noch, Herr“, erwiderte Lamár und senkte den Kopf noch tiefer. Pocils Blick brannte regelrecht auf seiner Haut, aber er trieb sein Spiel nicht weiter.
„Zur Mine!“, befahl er, alle Sklaven drehten sich gehorsam um und schritten in zwei Reihen nebeneinander los. Die fünf Aufseher folgten ihnen, kümmerten sich sonst nicht weiter um sie, sondern redeten und lachten miteinander. Die Arbeiter unterhielten sich ebenfalls, leiser allerdings als ihre Wächter. Es wirkte recht entspannt, doch Lamár bezweifelte nicht, dass jedem Sklaven, der aus der Reihe ausscherte, harte Strafe drohen würde. Der von vielen Füßen ausgetretene, staubige Weg führte an Feldern, an abgezäunten Schafweiden und an einem Fluss vorbei in hügeliges Gebiet, das von magerem Grasland beherrscht wurde. Nach etwa zwei Meilen Fußmarsch erreichten sie schließlich die Mine. Von außen sah man nicht viel mehr als ein Loch im Boden, von einer Holzkonstruktion überdacht, an der eine Seilwinde befestigt war.
Arkin schritt zu einem Schuppen und verteilte Werkzeug an alle Arbeiter, während die Aufseher sich bequem vor einer Hütte niederließen.
„Die da sind nur hier, damit keiner wegläuft oder sich heimlich am Essen bedient. Wenn sich unten jemand verletzt, begleitet ein Aufseher diejenigen, die den Verletzten zurück zum Lager bringen hin und wieder hierher zurück“, erklärte Tiko, als sie in einer Reihe vor der Seilwinde anstanden. „Die stören uns nicht, und wenn wir sie nicht stören, klappt das gut.“
„Meistens“, mischte sich ein Junge ein, vielleicht ein, zwei Jahre älter als Tiko. „Pocil erlaubt nicht, dass die Spaß mit uns treiben, darum passiert meistens wochenlang nichts. Wenn die sich zu sehr langweilen, sorgen die schon dafür, dass jemand aufmüpfig wird.“ Der Junge zuckte die Schultern und blickte weg. Ihm fehlten mehrere Zähne, und seine Nase war unnatürlich gekrümmt; er wusste also wohl, wovon er sprach.
Lamár beobachtete, wie die Arbeiter jeweils zu zweit in einen Korb stiegen, der an der Seilwinde befestigt war, und nach unten herabgelassen wurden. Nach etwa einer Minute hörte man eine Glocke anschlagen, und der Korb wurde wieder hochgekurbelt.
„Der Mann dort an der Kurbel ist Terek, unser Schmied, aus Olefs Hütte. Er ist der Stärkste von uns allen und kann die Kurbel schneller und länger bedienen als irgendjemand sonst. Wenn er uns runtergelassen hat, kehrt er in seine Schmiede zurück“, flüsterte Tiko.
Lamár musterte den Schmied, der so massig wie ein Bär auf ihn wirkte. Obwohl er schon eine ganze Weile an der Seilwinde arbeitete, atmete er ruhig und schien nicht im Mindesten angestrengt zu sein.
„Es ist gut, dass wir Terek haben“, warf Arkin leise ein. „Früher haben die Aufseher uns herabgelassen und sich gerne mal einen Spaß daraus gemacht, auf halber Strecke aufzuhören. Es ist nicht angenehm, man sieht nicht, wie tief man fallen könnte.“
„Warum kommen die nicht mit nach unten?“, fragte Lamár verwirrt. „Sie können doch gar nicht sicher sein, dass wir wirklich arbeiten?“
„Doch, das können sie.“ Arkin verzog geringschätzig das Gesicht. „Bringen wir nicht regelmäßig Erz und Schutt nach oben, bestrafen sie uns – es sei denn, ich kann sie davon überzeugen, dass wir Schwierigkeiten haben. Ansonsten ist es ihnen egal, was wir tun und wie wir es tun. Ich wache dort unten und entscheide, was von wem gemacht wird. Wenn einer sich häufiger mal ausruhen muss, weil er krank, leicht verletzt oder zu schwach ist, sorge ich dafür, dass niemand darunter zu leiden hat. Wir kontrollieren uns selbst und das ist gut so, Lamár. Würden die Aufseher mit in den Schacht steigen, müssten wir wahllos drauflos schürfen, ob uns dabei die Decke auf den Kopf fällt oder nicht.“
„Vater lässt jeden Fußbreit Stollen mit Balken und Netzen sichern“, sagte Tiko grinsend. „Pocil hasst ihn dafür, weil es die Arbeiten verlangsamt und viel Holz verbraucht. Aber er lässt ihn gewähren, da unter Vaters Aufsicht seit Jahren kein großes Unglück mehr geschehen ist. Sklaven sind schwerer zu beschaffen als Holz. Einmal war sogar der Layn hier und hat
Weitere Kostenlose Bücher