Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Wächter aufzulehnen, würde harte Folgen für die anderen Arbeiter haben, und das wollte Lamár um jeden Preis vermeiden.
Vielleicht bin ich kein Sklave. Aber ich gehöre zu ihnen. Sie sind meine Familie.
Als endlich alle oben angekommen waren, marschierten sie los – allerdings nicht in Richtung Dorf, wie Lamár erwartet hatte. Er hatte sich zwischen Arkin und Tiko eingereiht und sein Kleiderbündel wieder in Empfang genommen.
Nach einigen Hundert Schritten durch hügeligen Nadelwald, vorbei an den felsigen Ausläufern des Eisengebirges, hörte Lamár ein fernes Rauschen, und wenig später stand er mit den anderen am Ufer eines kleinen Sees, der von einem Wasserfall gespeist wurde. Alle Sklaven zogen ihre dreckige Arbeitskleidung aus und sprangen ins Wasser. Lamár zögerte nur kurz. Auch, wenn es ihm widerstrebte, sich vor den Aufsehern zu entblößen, die Aussicht, den schwarzen, klebrigen Schmutz der Stollen vom Leib zu waschen war einfach zu verlockend. Das Wasser war eisig, es raubte ihm die Luft, als er hineintauchte. Doch es belebte seinen erschöpften Körper, und er gewöhnte sich schnell daran.
„Wir dürfen nicht trödeln“, mahnte Arkin die Jungen, die ausgelassen zu toben begannen. Er sagte es mit einem müden Lächeln, wahrscheinlich wiederholte er diese Worte Tag für Tag, ohne dass sie Beachtung fanden. Es erstaunte Lamár, wie gelöst die Sklaven wirkten. Die älteren Männer nahmen zwar nicht an den Spielen der Jugendlichen teil, doch sie lachten und unterhielten sich so frei, als wären sie unter sich, während sie sich den Dreck aus den Haaren wuschen.
„Es ist kein schlechtes Leben, Lamár“, sagte Arkin, als sie sich schließlich alle auf den Heimweg machten. Die schmutzige Arbeitskleidung ließen sie achtlos in den Eingangsschacht der Mine fallen – am nächsten Morgen würden die ersten beiden Arbeiter, die unten ankamen, sie aus dem Weg räumen. „Glaub mir, es ist kein schlechtes Leben. Wir haben eine wichtige Aufgabe, wir bekommen genug zu essen, und es gibt gute Momente, wie abends dieser See, wenn das Wetter es zulässt.
Die Aufseher schlagen nur selten über die Stränge, Pocil hat sie im Griff. Sie schützen uns vor Räubern und Raubtieren. Verstehst du?“
Lamár schüttelte langsam den Kopf. „Ist das dein Ernst? Wir sind Sklaven! Wir dürfen nicht selbst entscheiden, wohin wir gehen, was wir tun, wann wir es tun. Die Aufseher dürfen uns zu Tode prügeln, wenn sie Lust dazu haben. Es sterben ständig Leute, wenn Irla nicht übertrieben hat. Wie kannst du das ein gutes Leben nennen?“
Arkin lächelte nachsichtig.
„Du bist zweifellos in Freiheit geboren worden, Lamár, wie man so sagt. Der Gedanke, Besitz eines anderen zu sein, widert dich an. Sag mir, wo liegt der Unterschied zwischen einem Sklaven und einem Bauern, der für seinen Landesherrn arbeitet? Auch dieser Bauer darf nicht tun, was er will, er muss seine Pflicht erfüllen. Wenn er heiraten möchte, muss er um Erlaubnis bitten. Wenn sein Herr es befiehlt, muss der Bauer zur Waffe greifen und in den Krieg ziehen. Die Arbeit eines Bauern ist so anstrengend, dass er meist nicht alt wird, oder?“
„Wenn er seine Arbeit erfüllt hat, darf er sich abends mit seinen Freunden treffen, wann und wo er will. Wenn er feiern möchte, hindert ihn niemand daran. Wenn er einen nächtlichen Spaziergang machen will, dann macht er ihn eben“, widersprach Lamár. Er hielt dabei seine Stimme gesenkt, damit niemand sonst ihn hören konnte. „Er muss nicht beständig um sein Leben fürchten, sobald er ein lautes Wort spricht. Sollte ein Landesherr ihn grausam oder ungerecht behandeln, kann der Bauer sich zwar nur in geringem Maße wehren, aber er hat die Möglichkeit, sich an die höheren Fürsten zu wenden und um Schutz zu bitten.“
„Wenn ein Aufseher dich ohne Grund prügelt, Lamár, gehst du zu Pocil. Und der Bauer, der hat niemanden, der ihn vor Banditen beschützt, vor Bären oder Wölfen. Wir müssen weniger um unser Leben fürchten als die sogenannten Freien.“ Arkin hob die Hand, als er sah, dass Lamár hitzig aufbegehren wollte. „Warte. Ich bin als Sklave geboren, ich kenne kein anderes Leben. Ich bin zufrieden mit meinem Dasein und wünsche mir nichts anderes! Aber ich sehe immer wieder, wie diejenigen, die mit Gewalt hierher verschleppt wurden, an ihrem Schicksal verzweifeln. Die jungen Männer und Frauen sprechen oft heimlich davon, zu fliehen und Freiheit zu suchen. Ich weiß nicht, ob ich in meiner
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