Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Jugend so war wie sie.“ Er lächelte traurig, schüttelte dann den Kopf. „Wenn, habe ich es vergessen. Du bist kein Junge mehr, Lamár, und du hast keine Erinnerung daran, wie dein Leben in Freiheit gewesen ist. Versuche, die guten Seiten deines neuen Lebens zu sehen. Versuche es.“ Arkin hustete heftig, anscheinend ohne es zu bemerken. Alle älteren Sklaven husteten ständig, und auch einige der Jüngeren, die schon von Geburt an hier waren.
Lamár seufzte, mittlerweile hatten sie die Hütten erreicht. Er konnte die Suppe riechen, die sie dort erwartete, und beeilte sich ebenso wie die anderen, anzukommen und vor den Gefahren der hereinbrechenden Nacht zu fliehen. Er konnte und wollte Arkin nicht recht geben. Aber zu behaupten, dass Arkin sich in jeder Hinsicht irrte, egal wie sehr seine eigenen Augen ihm sagten, dass Kinder wie Marjis hier zugrunde gingen, dass sämtliche Sklaven hohlwangige, kranke, ausgezehrte und vor ihrer Zeit gealterte Geschöpfe waren – das konnte er ebenso wenig.
7.
„Und denkt daran: Nennt mich nicht Herr!“ Lys musterte seine beiden Gardisten, die ihm ergeben zunickten. Erek und Nikor waren einiges von ihm gewohnt, sie würden ihm gehorchen. Außerdem war ihnen die Notwendigkeit bewusst, dass sich niemand an Lys erinnern durfte, sollte irgendjemand kommen und nach ihm fragen. Darum trug Lys nun die einfache Kleidung eines Dieners, während Erek und Nikor als Freiherren auftraten. Niederer Adel war von wenig Interesse, selbst Bauern würden ihren Anblick nicht weiter bemerkenswert finden. An den jungen Diener würde niemand einen zweiten Gedanken verschwenden.
Es regnete bereits seit zwei Tagen ohne Unterbrechung, was zwar unbequem, für ihre Tarnung hingegen noch günstiger war, denn so konnten sie sich unter den Kapuzen ihrer Umhänge verstecken.
Sie hatten beschlossen, für heute Nacht in einer kleinen Herberge einzukehren – wer wusste schon, wann sie das nächste Dorf erreichen würden? Zwar folgten sie der großen Handelsstraße in Richtung Hochgebirgspass, seit sie Sveit und Ramin eingeholt und – mühsam – überredet hatten, die Verfolgung aufzugeben und zu den anderen Räubern zurückzukehren. Doch die Gasthäuser lagen manchmal mehrere Wegstunden auseinander. Letzte Nacht hatten sie im Wald nächtigen müssen, wo alles so nass gewesen war, dass sie weder ein Feuer entzünden noch wirklich schlafen konnten. Umso mehr sehnten sie sich jetzt nach Wärme und einem trockenen Quartier.
Lys führte die Pferde in den Stall und versorgte die Tiere. Er wusste, Nikor und Erek würden jetzt im Schankraum auf ihren Stühlen umherrutschen und sich dafür schämen, dass ihr Fürst einmal mehr allein damit beschäftigt war, die Pferde trocken zu reiben und mit allem, was sie brauchten zu versorgen. Immerhin hatte er sich vom Stallknecht überreden lassen, ihm die nassen Sättel abzutreten. Dass er sich hier im Stall wohler fühlte als in der verräucherten Herberge, dass er es genoss, mal für eine längere Weile für sich zu sein und sich den sorgenvollen Gedanken hinzugeben, die er sonst krampfhaft von sich hielt, würde er seinen Gefährten wohl kaum begreiflich machen können. Er verstand es selbst kaum, so niedergedrückt und ungesellig war er sonst nicht. Lys war bewusst, dass diese Veränderung schon lange vor Kirians Verschleppung begonnen hatte. Es wurde Zeit, dass sein riskantes Spiel zu irgendeinem Ende fand, er hatte keine Kraft mehr … Doch das war nicht für die nahe Zukunft zu erwarten. Absichtlich zögerte Lys seine Arbeit ein wenig hinaus, untersuchte sorgfältig die Hufe der drei Pferde und fand immer noch einen neuen Grund, warum er den Stall nicht verlassen durfte. Schließlich aber gab er sich seufzend einen Ruck und betrat das Gasthaus, bevor seine Begleiter in Sorge gerieten und nach ihm suchten.
Wärme schlug ihm entgegen, der Duft von gebratenem Fleisch überlagerte gnädig die Geruchsattacke von Bier, Tabak und vielen Menschen auf engem Raum. Lys musste unwillkürlich lächeln, als er spürte, wie er sich zu entspannen begann: Es war eine gemütliche Herberge, gefüllt mit Bauern, die müde nach einem langen Tag der Arbeit zusammensaßen. Ein freundlicher Ort. Er setzte sich auf einen Schemel neben Erek, nachdem er sich ehrerbietig vor seinen Herren verneigt hatte.
„Du hast getrödelt“, tadelte Nikor ihn laut.
„Vergebt mir, Herr.“ Lys duckte sich zusammen, als fürchtete er Schläge, vergewisserte sich dabei mit einem raschen
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