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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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strahlten uns hell entgegen, aus Frentjes Haus drangen die Töne einer Blockflöte, die ziemlich falsch spielte, und der Geruch von Abendessen stieg in meine Nase. Hier gab es nichts Böses und nichts Hässliches.
    Wir kletterten vom Kutschbock, und während Flint sich um die Pferde kümmerte, standen Joern und ich uns gegenüber. Im Licht der Kutschenlaterne sah ich meinen Freund an.
    »Ich muss gehen«, sagte Joern leise. »Drüben warten sie auf mich.«
    »Nimm mein Fahrrad«, sagte ich. »Ich habe es hinter dem Stall an die Wand gelehnt. Es hat ein gutes, helles Licht. Wenn du es bei der Mauer zurücklässt, hole ich es morgen dort ab. Weißt du den Weg noch, den wir von der Mauer hergeritten sind?«
    Er nickte.
    »Du kommst doch wieder?«, fragte ich.
    Da nickte Joern noch einmal. »Natürlich komme ich wieder«, sagte er. »Schon morgen. Mich wirst du so schnell nicht los, da mach dir mal keine Hoffnung. Alle werden denken, ich schlafe bei Frentje, nicht wahr? Und ihr müsst euch eine gute Ausrede überlegen, wo ich bis nachmittags stecke.«
    Er lachte und sein Lachen klang so fröhlich, dass mir wieder leichter zumute wurde.
    »Ich werde ihnen erzählen, du hättest nachts den ganzen Wein ausgetrunken, den Frentje für ihre Soßen besorgt hatte«, sagte ich. »Und davon hättest du einen solchen Kater, dass du bis nachmittags im Bett bleiben musst.«
    »Na prost«, sagte Joern und dann drehte er sich um, ging über den Hof davon und verschwand in der Dunkelheit.
    Während ich ihm nachsah, kamen mir tausend schreckliche Gedanken. Was, wenn der Kjerk im Wald lauerte? Wenn mein Fahrrad einen Platten bekam, weil mitten im Wald ein spitzer Stein herumlag? Wenn man im Mondlicht die Brücke über der Schlucht nicht gut genug erkennen konnte? Was, wenn ich meinen Freund nie wiedersah?
    Das Kaminfeuer brannte hell an diesem Abend und die graue Katze schnurrte laut, denn sie hatte heimlich die halbe Fischpastete aufgefressen. Ich gewann im Halma dreimal gegen Flint, aber mein Herz war schwer und schwarz vor Sorge. Nachts, in meinem Bett, träumte ich vom Finsterbach.
    Ich stand ganz alleine mitten auf der Brücke und sah in sein dunkles Wasser hinab, das tief unten um die Felsen rauschte. Auf einmal war über mir in der Luft ein Rauschen wie von den Schwingen eines riesigen Vogels zu hören. Ich hob den Kopf und da schwebte direkt über mir der Kjerk. Er war riesengroß. Blaue Federn bedeckten seinen Körper, doch sein Kopf war der einer Raubkatze und er besaß vier Pranken mit blitzenden Krallen. Während ich ihn anstarrte, öffnete er das Maul und eine grellgelbe Flamme loderte daraus empor. Und jetzt schlug er mit den tiefblauen Flügeln und stürzte sich auf mich. Ich machte einen Schritt rückwärts, trat neben die Brücke, rutschte aus – und verlor das Gleichgewicht. »Lasseeee!«, hörte ich Joern schreien.
    Erschrocken fuhr ich hoch und merkte, dass ich in meinem Bett saß.
    Mein Schlafanzug war nass vor Schweiß. Auf dem Flur näherten sich Schritte und für einen Augenblick dachte ich, es wäre das Böse, Hässliche, das dort kam. Doch dann knipste jemand das Licht an. In der Tür stand Flint, ebenfalls im Schlafanzug.
    »Lasse!«, sagte er. »Was ist passiert?«
    Als ich nicht antwortete, setzte er sich auf die Bettkante und nahm mich in die Arme. Er roch nach Rasierseife und nach Kakao.
    »Du hast geträumt«, sagte er. »Lasse, es war nur ein Traum.«
    »Ja«, flüsterte ich, »es war nur ein Traum. Aber, Flint, er … er war so wirklich! So wirklich, als müsste er eines Tages wahr werden!«

Schlaflose Stadt
    J oern fand das Fahrrad hinter dem Stall und das Letzte, was er hörte, ehe er in den Wald hineinfuhr, war das schläfrige Schnauben der Pferde. Wie gern wäre er einfach dort geblieben, in der Wärme und Behaglichkeit.
    Aber dies war nicht die Welt, in die er gehörte. Es war eine Märchenwelt. Und wenn er morgen wiederkam, war sie vielleicht gar nicht mehr da.
    Er setzte Flop in den Fahrradkorb, wo er sich sofort zusammenrollte und einschlief. Dann fuhr er über den holprigen Waldboden, so schnell er konnte. An manchen Stellen, wo zu viele Blätter lagen, musste er absteigen und das Rad schieben. Wenn er schob, ging der Dynamo aus und absolute Dunkelheit hüllte ihn ein. War es so dunkel, wenn der Strom in den Stollen ausfiel? War dies die Dunkelheit, die Onnar kannte?
    Wenn Joern fuhr, fiel das Licht der Lampe manchmal wieder auf Augen, die es zurückwarfen wie kleine Spiegel. Wahrscheinlich,

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