Jenseits der Finsterbach-Brücke
Gang aufwärtszuführen. Dimm-didimm … der Klang führte uns wie eine unsichtbare Karte weiter und weiter. Es mussten Dutzende von Gabelungen sein, Dutzende von Gängen, die wir eiliger und eiliger entlangliefen.
»Jetzt!«, rief Joern plötzlich. »Jetzt weiß ich es! Das Hämmern hört sich an wie die Geräusche aus dem Bergwerk! Aber hier im Norderwald baut doch niemand Kohle ab?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte ich. »Doch was wäre, wenn es vom Bergwerk bis hierher einen Geheimgang gäbe?Ich würde ihn den klingenden Gang nennen, weil man von überall her die Geräusche der Meißel hört.«
»Der klingende Gang«, wiederholte Joern. »Deine Liebe zu großartigen Worten in allen Ehren, Lasse, aber …« Er verstummte.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Siehst du es nicht?«, fragte Joern. »Das Licht! Dort oben!«
Und da sah ich es. Es war ein schmaler Streifen Licht, ähnlich einem Türspalt. Dort oben musste es eine Tür geben. Es war ein Türspalt.
»Hier sind wieder Stufen«, sagte Joern. »Ich bin mit dem Fuß an eine gestoßen. Da oben, Lasse! Da oben ist ein Ausgang!«
Nie bin ich Stufen schneller hinaufgeklettert. Als wir nur noch wenige Meter von dem Lichtstreifen entfernt waren, tauchte etwas darin auf. Etwas wie der Umriss eines Kopfes. Aber es war kein richtiger Kopf. Ehe ich begreifen konnte, war es auch schon wieder verschwunden. Die Tür schwang ganz auf und über uns strahlte der Norderwald wie ein grünes Juwel. Tausendmal schöner, als Nachtspat es je sein konnte. Und als ich die Bäume sah, setzte sich das Bild des Gesichts in meinem Kopf wie Kaffeesatz am Grund einer Tasse und ich verstand, was ich gesehen hatte.
»Ein Helm«, sagte ich. »Es war ein Helm.«
»Ein Helm wie der eines Ritters«, sagte Joern.
Wir stiegen den Rest der Stufen hinauf und dann fühlten wir den weichen Waldboden unter den Füßen und um unswar wieder das goldgrüne Licht des Waldes. Ich holte tief Luft, als könnte ich dieses wunderbare Licht ganz in mich einsaugen.
Wir standen auf einem schmalen Pfad. Niemand war zu sehen. Nur an der nächsten Biegung des Pfades wippten ein paar Äste auf und ab. Als sei eben noch jemand dort gewesen. Jemand, der uns aus dem dunklen Inneren der Erde herausgelotst hatte wie Schiffbrüchige aus den Weiten des Ozeans. Durch nichts als einen leisen, metallischen Klang.
Er zieht durch die Wälder, bei Tag und bei Nacht. Er kommt, wenn keiner ihn sieht, und geht, wohin niemand ihm folgen kann.
Doch diesmal waren die Worte keine seltsame Einbildung.
Joern hatte sie gesprochen. Wir sahen uns an.
»Der Weiße Ritter«, sagte ich.
Spuren aus heller Seide
E s dauerte eine ganze Weile, bis wir das Fahrrad wiedergefunden hatten. Am Lenker war ein weißes Seidenband befestigt.
»Der Weiße Ritter«, sagte ich noch einmal und Joern nickte. Er hatte uns das Band hinterlassen wie eine Visitenkarte. Auf einer Visitenkarte standen Name und Adresse des Besitzers. Wo aber konnten wir den Weißen Ritter finden?
Wir fuhren schweigend über die holprigen Waldwege zurück und erreichten den Norderhof, als auch der Abend dort ankam. Flop rannte uns entgegen und sprang an Joern hoch. In der großen Küche fanden wir Flint, der dabei war, dicke Scheiben von einem Brot zu schneiden. Er drehte sich um und lächelte. Dann wurde sein Gesicht wieder besorgt.
»Was ist mit euch passiert?«, fragte er und schnitt vor Schreck eine Scheibe, die so schief wurde, dass man sie höchstens noch als Türstopper benutzen konnte. Ich sah an mir hinunter. Danach sah ich Joern an. Unsere Kleider waren voller moosiger grüner Flecken und über der Schulter trug ich noch immer den zerbrochenen Bogen.
»Wir sind in einem der alten Bunker im Wald herumgekrochen«, erklärte ich. »Und ich bin eine Treppe hinuntergefallen. Dabei ist der Bogen kaputtgegangen und, äh, die Taschenlampe auch und …«
Flint vergaß die Brotscheiben und legte einen Arm um mich. »Sei nicht traurig«, sagte er. »Ich hab irgendwo im Keller noch einen alten Bogen. Ihr macht aber auch einen Mist.«
Ich sah, dass eine Menge Fragen in seinem Kopf darauf warteten, gestellt zu werden, doch er schwieg. Er setzte sich mit uns fleckigen Abenteurern an den Küchentisch, goss Tee in Tassen und sah zu, wie wir aßen. Man glaubt nicht, wie hungrig Abenteuer machen.
Später saßen wir geduscht und geschrubbt zusammen vor dem Kamin, Joern in Kleidern von mir, und noch immer fragte Flint nichts. Da fragte ich etwas.
»Du kennst doch all
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