Jenseits der Finsterbach-Brücke
geheime Tür öffnen musste!
»Heute geht es ihm an den Kragen, dem Kjerk«, flüsterte ich in Töks weiches Ohr. »Nie wieder wird jemand dir so wehtun, Tök, das verspreche ich dir.«
Und dann kam Joern mit Flop herein und wir sollten alle Salat und Klöße mit Soße essen, aber keiner außer Frentje aß etwas.
»Bei dem Salat muss ich an mein Salatbeet denken«, sagte Olaf unbehaglich. »Heute Morgen waren Spuren darin, riesengroße Vogelspuren. Hat jemand von euch die in die Erde gemalt?«
Wir schüttelten stumm die Köpfe. Die braune Soße auf meinem Teller sah aus wie altes Blut. Die Klöße glichen den Felsen zwischen den Stromschnellen im Fluss. Die weiße Sahne auf dem Nachtischkompott war weiß wie die Rüstung des Weißen Ritters. Ich schob meinen Teller weg.
»Ich geb es auf«, sagte Frentje schließlich und räumte kopfschüttelnd ab. »Ihr seid alle magenkrank. Geht und legt euch hin. Selbst Flint wollte sich heute kein Mittagessen in sein Büro heraufholen. Angeblich kriegt er nichts herunter, weil irgendwas in seiner Arbeit schiefläuft. Ist denn der ganze Norderhof verrückt geworden?«
Flint bekam auch nichts herunter? Das war allerdings interessant. Ich erinnerte mich daran, wie wir ihn hatten telefonieren hören. Gut, wenn es Probleme mit seiner Arbeit gab, war er wenigstens abgelenkt.
Ein Tropfen Blut, dachte ich. Der Weiße Ritter hatte geschrieben, Flint würde den winzigen Schnitt kaum spüren. Aber woher konnte er das so genau wissen?
»Lasse!«, flüsterte Almut und zog an meinem Ärmel. »Wir müssen los! Es ist zehn vor zwei.«
Da hatte ich es mit einem Mal sehr eilig. Ich rief Frentje zu, wir hätten drüben im Gutshaus ein neues Spiel, was ja beinahe stimmte. Kurz darauf rannten wir über den Hof und Frentje schüttelte nur den Kopf und murmelte wieder etwas davon, dass alle verrückt geworden wären. Ich hörte Tök bellen, schwach nur und leise, als wollte er uns etwas Wichtiges nachrufen, und danach hörte ich ein Winseln. Ich drehte mich um. Flop stand in der Mitte des Hofes und schien hin und her gerissen, ob er uns folgen oder bei Tök bleiben sollte. Er drehte sich auf dem Hof im Kreis und jaulte.
»Komisch«, sagte Joern. »Vielleicht sollten wir nicht gehen.«
»Ach was!«, meinte ich. »Frentje hat schon recht: Auf dem Norderhof sind alle verrückt geworden. Selbst die Hunde.«
Als wir bei der Tür des Gutshauses ankamen, drückte ich die Klinke so feierlich herunter wie bei einer Kirchentür. »Dies ist das letzte Mal«, sagte ich, »dass ich die große Tür öffne, während ein Kjerk in den Wäldern wohnt.«
Danach ging ich voraus in den Flur, während Flop noch immer auf dem Hof winselte, und sagte: »Dies ist das letzte Mal, dass wir den Flur betreten, während ein Kjerk in den Wäldern wohnt.« Und schließlich streckte ich die Hand nach der Kellertür aus. »Dies ist das letzte Mal«, verkündete ich, »dass wir die Kellertreppe hinuntergehen, während ein Kjerk …«
»Kommt jetzt der Ritter?«, unterbrach mich Tom.
Ich fuhr herum. »Tom!«, flüsterte ich. »Was machst du denn hier?«
»Du kannst nicht mit«, sagte Almut bestimmt. »Geh nach Hause. Du bist viel zu klein.«
»Wenn ihr mich nicht mitnehmt, erzähl ich Mama, was ihr macht«, erklärte Tom, verschränkte die kurzen Arme und sah uns angriffslustig der Reihe nach an.
»Denk an letzte Nacht«, sagte Joern. »Vielleicht wird es gefährlich.«
»Ich hab keine Angst«, sagte Tom. »Und außerdem kommt doch heute der Ritter, nicht der Kjert. Den will ich sehen.«
»Aber wehe, du erzählst irgendwem irgendwas«, sagte Almut. »Dann wird der Weiße Ritter sehr böse und dann spießt er dich auf sein Schwert und nagelt dich damit an einen Baumstamm.« Almut hatte sehr gewalttätige Fantasien, das musste man zugeben.
Tom verzog das Gesicht, als wollte er heulen, doch dann nickte er nur und sagte: »Ich verrat keinem was. Ich versprech’s.«
Ich holte eine Kerze und Streichhölzer aus der Tasche, denn das war doch passender für einen Ritter als normale Glühlampen. Deshalb machte ich das Deckenlicht nicht an. Stattdessen stiegen wir im flackernden Schein der Kerze die steile Kellertreppe hinunter. Flop war nicht mitgekommen und ein bisschen verstand ich seine Nervosität jetzt. Es war, als könnte man den Atem des Kjerks im Nacken spüren, alskönnten wir ihn hinter uns keuchen hören und sein Feuer riechen. Als wüsste der Kjerk, dass wir unterwegs waren, um ihn auszulöschen, ein für alle
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