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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Mal.
    »Vielleicht schwebt er gerade jetzt auf seinen riesigen blauen Schwingen über dem Norderhof«, flüsterte ich. »Vielleicht spuckt er gerade jetzt seine gelben Flammen in den Himmel und überlegt, wie er den Hof doch noch anzünden und uns in die Fänge kriegen kann und wie unser Blut schmeckt.«
    »Wir haben ihn nie fliegen sehen«, flüsterte Joern.
    »Sicher wäre es ein großartiger Anblick«, sagte ich und hielt meine Kerze ein wenig höher, weil wir den Fuß der Treppe erreicht hatten.
    »Nein«, sagte Joern. »Ich glaube, er kann gar nicht fliegen.«
    Ich seufzte. »Wenn wir nur den Weißen Ritter fragen könnten!«, sagte ich. »Ich möchte ihn so vieles fragen! Woher der Kjerk gekommen ist. Und woher er selbst kommt. Und was unter seinem Visier steckt.«
    »Das will ich lieber nicht wissen«, sagte Almut. »Sicher ist es fürchterlich und …«
    »Da!«, rief Tom. »Ist er das?«
    Für einen Moment erschrak ich, denn vor uns stand tatsächlich jemand in einer Ritterrüstung.
    »Ach was«, sagte Joern, »das ist bloß eine leere Rüstung.«
    Und da erkannte ich, dass er recht hatte. Es war die alte Rüstung, die ich ihm erst gestern gezeigt hatte. Im tanzenden Kerzenlicht sah es aus, als bewegte sie sich, als senkte diegepanzerte Brust sich auf und ab unter den Atemzügen eines Unbekannten. Doch im Kerzenlicht schien sich auch alles andere zu bewegen, die Regale, die Flaschen und Dosen, ja selbst die Wände bogen und dehnten sich und überall huschten Schatten umher. Schweigend tappten wir weiter durchs unheimliche Halbdunkel. Es dauerte eine Weile, bis wir die Stelle fanden, wo wir gestern Abend bei hellem Lampenlicht die Kisten vor der Tür weggerückt hatten. Ich sah auf die Uhr. Es war drei Minuten nach zwei.
    »Lasse?«, sagte Joern. »Bist du sicher, dass es gut ist, die Tür zu öffnen?«
    »Natürlich«, antwortete ich erstaunt.
    Joern nahm meine Hand, die die Kerze hielt, und hob sie ein wenig höher, sodass ich sein Gesicht sehen konnte und er meins. Einen Moment lang blickten wir uns in die Augen.
    »Wenn du diese Tür öffnest«, flüsterte Joern, »kannst du sie nie wieder schließen! Denk daran, dass alles zusammenhängt. Ich weiß nicht wie, aber …«
    »Verschweigst du mir etwas?«, fragte ich misstrauisch. »Sollte ich etwas wissen, das ich nicht weiß?«
    Er schien zu zögern.
    »Nein«, sagte ich schnell, »nein, ich will es gar nicht wissen! Von mir aus hängt alles zusammen, aber wie es zusammenhängt, das werden wir erst herausfinden, wenn ich die Tür öffne.«
    »Lasse …«, begann Joern noch einmal.
    Ich legte den Finger auf die Lippen. Da ließ er meine Handlos und ich hielt die Kerze ganz nahe an die Tür. Dann öffnete ich sie. Almut drängte sich dicht an Joerns Rücken und Tom umklammerte mein linkes Bein.
    Das Licht der Kerze fiel in einen Gang, gerade hoch genug für einen erwachsenen Menschen, um darin zu stehen. Und in diesem Gang, direkt hinter der Tür, stand eine Gestalt in einer weißen Rüstung, im Gürtel ein Schwert mit weißem Griff. Unter dem weißen Visier jedoch war wieder nichts zu erkennen als Schwärze.
    Der Weiße Ritter verneigte sich leicht und trat aus dem Gang in den Keller. Ich schloss die Tür hinter ihm. Von wegen, wenn ich sie einmal geöffnet hätte, ließe sie sich nie wieder schließen! Sie schloss ganz hervorragend. Aber vielleicht hatte Joern etwas anderes gemeint.
    »Die Treppe hinauf bis ins Wohnzimmer, danach die kleine Holztür neben dem Klavier«, flüsterte ich, falls der Weiße Ritter es vergessen hatte. »Dort geht es in den Turm, in dem mein Vater arbeitet.«
    Ein zweites Verneigen. Der Weiße Ritter streckte die Hand aus und zuerst verstand ich nicht. »Die Kerze!«, wisperte Almut. »Er möchte, dass du ihm die Kerze gibst.«
    Also gab ich dem Weißen Ritter meine Kerze und er ging voran, durch die Kellerräume bis zurück zu der steilen Treppe. Tom klammerte sich noch immer an mein Bein, was das Gehen etwas beschwerlich machte. Almut und Joern waren weit vor mir.
    Und dann geschah es. Genau am Fuß der Treppe. Der Weiße Ritter ließ die Kerze fallen und sie erlosch. Almutschrie auf vor Schreck und Tom begann nun doch zu heulen. Die Schritte des Weißen Ritters entfernten sich, die Treppe hinauf.
    »Da oben links ist der Lichtschalter!«, rief ich ihm zu.
    Gleich darauf öffnete er die Kellertür. Ich sah seinen Umriss durch den Spalt treten, bevor er sie wieder hinter sich schloss.
    »Er hat den Lichtschalter vergessen«,

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