Jenseits Der Schatten
sogar zurück, wollte sehen, wozu Kylar imstande war. Aber es würde jetzt keine Zurückhaltung mehr geben, das hatte Kylar gesehen. Er würde bald ermüden und etwas Verzweifeltes versuchen. Darauf wartete Garuwashi - wie viele verzweifelte Männer hatte er in seinen dreiundsechzig Duellen erlebt? Sicherlich hatte jeder von ihnen, der das erste Aufeinandertreffen der Klingen überlebt hatte, die gleiche Übelkeit im Bauch verspürt, die jetzt Kylar zu schaffen machte. Wenn die Schwerter ihre Musik erklingen ließen, blieb kein Raum mehr für Selbsttäuschung.
Irgendeine Kleinigkeit in Garuwashis Miene änderte sich. Es
war nicht genug, um Kylar zu verraten, was der Kriegsführer als Nächstes tun würde; es sagte Kylar nur, dass Garuwashi Kylars Stärken nun erkannt zu haben glaubte. Und dass er die Sache jetzt beenden würde.
Kylar wartete darauf, dass Garuwashi angriff, wartete auf die unglaublich schnelle Bewegung dieser verdammt langen Arme aus einer sicheren Deckung heraus.
»Ihr spürt ihn, nicht wahr?«, fragte Garuwashi und hielt in seinem Angriff inne. »Den Rhythmus.«
»Manchmal«, knurrte Kylar, ohne den Blick von Garuwashis Körpermitte abzuwenden, wo er den Beginn jeder Bewegung sehen konnte. »Einmal habe ich es wirklich wie Musik gehört.«
»Sind viele gestorben an diesem Tag?«, fragte Garuwashi.
Kylar zuckte die Achseln.
»Dreißig Hochländer, vier Hexer und ein khalidorischer Prinz«, antwortete Feir an seiner Stelle.
Lantano Garuwashi lächelte; Feirs Wissen schien ihn nicht zu überraschen. »Und doch kämpft Ihr heute hölzern. Ihr seid steif und langsamer als sonst. Wisst Ihr, warum? An jenem Tag habt Ihr dem Tod nicht weniger ins Auge gesehen als heute.«
Falsch, aber das wusste ich damals nicht.
»Heute«, fuhr Garuwashi fort, »habt Ihr Angst. Sie verengt Euren Blick, verspannt Eure Muskeln, macht Euch langsam. Sie wird Euch töten. Kämpft, um zu gewinnen, Kylar Stern, und nicht, um nicht zu verlieren.« Es war beunruhigend, gute Ratschläge von einem Mann zu bekommen, der kurz davor stand, ihn zu töten.
»Hier«, sagte Garuwashi. Er hob Ceur’caelestos, und Kylar sah, wie die Schneide von dessen Klinge stumpf wurde. »Ich werde es wissen, wenn Ihr bereit seid.«
Feir lehnte sich gegen einen Baum und pfiff durch die Zähne.
Garuwashi griff erneut an, und es dauerte nur Sekunden, bis das stumpfe Schwert über Kylars Rücken kratzte. Einige weitere Sekunden vergingen in wildem Gefecht, und die stumpfe Klinge fiel auf seinen Unterarm herab und stieß ihm dann gegen die Schulter. Aber während die Hiebe auf ihn niederprasselten, flutete die Erinnerung an die gnadenlosen Übungskämpfe mit seinem Meister Durzo in Kylars Gedächtnis zurück. Seine Angst ließ nach. Dies hier war das Gleiche, nur dass Kylar inzwischen größeres Durchhaltevermögen besaß, größere Kraft, zu höherem Tempo in der Lage war und mehr Erfahrung hatte als vor Jahren. Und er hatte Durzo besiegt. Einmal. Kylars Blick wurde klar, und sein Puls, der bisher gerast hatte, verlangsamte sich.
»Na also!«, sagte Garuwashi. Ceur’caelestos wurde wieder scharf, und sie begannen aufs Neue.
Kylar bemerkte jetzt sogar, was Feir machte. Der Schwertmeister zweiten Ranges hatte sich mit überkreuzten Beinen auf die Erde gesetzt und sah den beiden Fechtern staunend zu. Er murmelte die Namen, die ihre Aktionen in der Fechtkunst hatten, vor sich hin: »Gabelspiel, viele Wasser, das Schloss der drei Gipfel - gut, gut - die Reiherjagd und - war das Praavels Verteidigung? - Goramonds Ducken und - was zur Hölle? Ich habe nie - Yrmis Anfall, gütige Götter, irgendeine Variation der Zwei Tiger? Die Harani-Stiere, dann …«
Der Kampf nahm an Tempo zu, aber Kylar spürte innere Ruhe. Wie er ungläubig feststellte, lächelte er sogar. Wahnsinn! Aber so war es, und auch Garuwashis dünne Lippen waren zu einer Art Grinsen verzogen. Ihr Kampf hatte seine eigene Schönheit, etwas Wertvolles und Seltenes. Jedermann wünschte sich, kämpfen zu können. Nur wenige konnten es wirklich, und nur einer in hundert Jahren focht so gut. Kylar hatte nicht damit gerechnet, noch einmal einem Meister zu begegnen, der Durzo Blint das Wasser
reichen konnte, aber Lantano Garuwashi mochte sogar besser sein als Durzo, ein wenig schneller, seine Reichweite etwas größer.
Kylar duckte sich hinter einen jungen Baum, bevor Garuwashi den Baum im nächsten Augenblick in zwei Stücke hieb. Während Garuwashi den abgeschlagenen Baum beiseiteschob,
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