Jenseits Der Schatten
Es ist der einzige Ort, an dem wir die Chance auf einen Sieg im Kampf gegen sie haben.«
»Ihr wollt also, dass wir Euch helfen, auf das Gebiet Eures Nachbarn vorzudringen? Das ist eine ungemein kühne Interpretation eines Abkommens, das dazu gedacht war, die machtpolitischen Ambitionen der Chantry zu beschneiden.«
Plötzlich spürte die Sprecherin von einem Ort viele Stockwerke unter ihr eine unvertraute Magie. Obwohl sie nur einem halben Dutzend Magi begegnet war und niemals erlebt hatte,
dass einer von ihnen sein magisches Talent einsetzte, wusste sie sofort, dass dies ein Magus war - in ihrer Chantry.
»Sprecherin, stimmt irgendetwas nicht?«
Istariel hatte nur Sekunden, um zu entscheiden, wie sie reagieren sollte. Konnte sie die Anwesenheit eines feindseligen Magus zu ihrem Vorteil nutzen? Wäre es für sie von Vorteil, wenn die Zusammenkunft mit dem Botschafter gestört wurde? Vielleicht hätte es so sein können, wäre das Ziel der Chantry bei dieser Unterredung etwas Positives. Wie die Dinge lagen, hatte sie nur den Wunsch, sich aus einem jahrhundertealten Vertrag zurückzuziehen, ohne den Krieg zu erklären. »Ja, Ihr schlagt uns mit alten, unbegründeten Behauptungen ins Gesicht, Herr. Wir wollen nur als ein Haus der Gelehrsamkeit überleben.« Ein Ansturm von Magie, die ihr viel vertrauter war, reagierte auf den Eindringling. Die Wucht dieser Magie überraschte Istariel. Es war eine Fesselmagie, und die einzige Maja, bei der sie sich vorstellen konnte, dass sie mächtig genug war, um sie zu benutzen, war Ariel, die gesegnete, ahnungslose Ariel. Oder vielleicht Vi.
»Ein Haus der Gelehrsamkeit?«, wiederholte der Botschafter. »Schließt diese Gelehrsamkeit das Erlernen von Schlachtenmagie ein?«
Er wusste also Bescheid. Verdammt. »Wenn unsere Verbündeten uns im Angesicht eines Massakers im Stich lassen? Ja.«
Seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Dies ist sehr voreilig.«
Istariel öffnete den Mund, um an historische Tatsachen zu erinnern, als ein magischer Aufprall durch die Chantry fegte. Das stete Summen der Magie von Magae verebbte, und zum ersten Mal seit Jahrhunderten, vielleicht zum ersten Mal seit ihrer Erbauung, herrschte in der Chantry absolute Stille. Die Magie durchzuckte alles, obwohl sie nichts zerstörte außer dem, was die
Schwestern im Augenblick an Magie zu weben versuchten. Sie hatte Charakter, einen unverkennbaren Duft: frei und wild, nicht feindselig, sondern eher erfüllt von einer Stärke, die sich ihrer selbst nicht bewusst war. Das unmögliche Bild, das vor Istariels innerem Auge auftauchte, zeigte einen jugendlichen Erzmagier, und es erschütterte sie bis ins Mark. Ariel hatte versucht, ihn in Ketten zu legen, und er hatte sich geweigert, sich in Ketten legen zu lassen.
In magischer Hinsicht fühlte Istariel sich wie ein kleines Mädchen, das zwischen schreienden Eltern in der Falle saß.
»W-was war das?«, fragte der Botschafter.
Bei dem Seraph, es war so mächtig, dass selbst diese magielose Kröte es spüren konnte.
»Wir entsagen hiermit den Abkommen, Botschafter. Sollte Alitaera den Wunsch haben, die Magae aus seinen Herrschaftsbereichen zu verstoßen, werden sie friedlich abziehen. Ich bitte jedoch darum, dass Ihr uns sechs Monate Zeit gebt, um unseren guten Willen zu zeigen. Dies ist keine Kriegserklärung gegen Euch. Bitte, lasst den König wissen, dass wir nur kämpfen, um zu leben.«
Der Botschafter saß schweigend da. Er nippte an seinem Ootai, von dem Istariel überzeugt war, dass er inzwischen kalt sein musste, aber der Mann schien es nicht zu bemerken. »Der König dachte immer, dass Ihr eine der gemäßigteren Stimmen der Chantry wärt, Istariel. Gewiss braucht die Unterredung nicht an diesem Punkt zu enden. Ihr würdet nicht Hunderte von Jahren der Zusammenarbeit und des Fortschritts wegwerfen.«
Der Erzmagus stieg in der Chantry Stockwerk um Stockwerk höher und kam immer näher. Er hatte so viel Magie benutzt, dass sie noch immer in ihm brannte. Istariel konnte ihn beinahe durch den Boden sehen. Sie wollte dieses Gespräch jetzt nicht führen, aber sie konnte den Botschafter auch nicht hinauswerfen. »Nein«,
sagte sie. »Ich habe nicht den Wunsch, irgendetwas wegzuwerfen, erst recht nicht unser Leben. Vielleicht kann ich in diesem Herbst nach Skone kommen und mich persönlich mit dem König treffen.«
Es war nicht irgendein x-beliebiger Erzmagier, begriff Istariel jetzt. Es war Vis verdammter Ehemann. Was zur Hölle hatte er vor?
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