Jenseits Der Schatten
herum. Das war für Kaldrosa die Bestätigung. Dies war der Pavillon der Konkubinen.
Die Todeszone endete einige hundert Schritt von den Pavillons entfernt. Tomman und die anderen Bogenschützen krochen so nah heran, wie sie konnten. Sie wusste, dass Tomman den Pfeil aus einer Entfernung von zweihundert Schritten abschießen konnte, aber sie wollten keinerlei Risiken eingehen; alles hing davon ab, schnell und tödlich zu sein.
Kaldrosa drehte sich um, um sich an den Bären zu lehnen, streckte die Arme und ließ den Kopf kreisen. Südlich ihrer Anhöhe legte sich der schwarze Staub der Kuppel über die Stadt, die unter dem Schwarzen Hügel verborgen gewesen war. In der Mitte befand sich eine große, weiße Burg. Die Stadt selbst lag an der höchsten Stelle der Ebene, daher konnte Kaldrosa nichts von der Schlacht dahinter sehen. Sie setzte ihren Helm auf und drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu verfolgen, wie jeder Wachmann und Meister in Sicht zu Boden ging, getroffen von Pfeilen.
Ein weiterer Pfiff ertönte, und tausend Männer sprangen auf und rannten auf die Pavillons zu. Die Sa’ceurai stießen für gewöhnlich Kriegsschreie aus, aber jetzt waren sie stumm. Einige stolperten und fielen, weil ihre Muskeln sich nach den Nächten im Freien verkrampft hatten, aber die meisten hatten die Pavillons binnen Sekunden erreicht.
Otaru Tomaki hob eine Hand mit vier ausgestreckten Fingern. Hundert Sa’ceurai umringten den Pavillon, der bewacht gewesen war, während die anderen sich verteilten. Auf Tomakis Kommando hin schnitten sie auf vier Seiten gleichzeitig die Wände des Pavillons auf und stürmten hinein.
Als Kaldrosa vielleicht fünf Sekunden später eintraf, waren die sechs Eunuchen im Zelt tot, und eine einzelne Frau stand inmitten der wachsamen Sa’ceurai. Die Frau war dunkelhaarig, von schlankem Körperbau und vielleicht sechzehn Jahre alt. Sie war kostbar bekleidet und hielt ein Schwert, das sie wild schwenkte. »Geht weg! Bleibt zurück!«, rief sie.
Kaldrosa kam der Gedanke, dass hundert Sa’ceurai wahrscheinlich nicht die Art von Rettern waren, die eine cenarische Prinzessin erwarten würde. »Euer Hoheit«, sagte Kaldrosa, »seid ganz ruhig. Wir sind hier, um Euch zu retten. Wir kommen von Eurem Gemahl.«
»Von meinem Gemahl? Was für ein Wahnsinn ist das? Bleibt zurück!«
»Ihr seid Jenine Gyre, nicht wahr?«, fragte Kaldrosa. Die Beschreibung passte auf das Mädchen, aber sie hatte sie noch nie gesehen.
»Zeit!«, sagte Otaru Tomaki. »Wir müssen gehen!«
»Jenine Gyre ?«, lachte das Mädchen. »Das ist einer meiner Namen gewesen.«
»König Logan hat uns geschickt. Er hat Euch furchtbar vermisst, Euer Hoheit. Ihr seid der Grund, warum wir hier sind«, erklärte Kaldrosa.
»Logan? Logan ist tot.« Die verwirrten Blicke der Sa’ceurai mussten sie überzeugt haben, dass dies keine Falle war. Sie wurde weiß. »Logan lebt? ›Der cenarische König.‹ Oh Götter.« Das Schwert entfiel ihren Fingern. Sie wurde ohnmächtig.
Otaru Tomaki fing sie auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug. Er legte sie sich über die Schulter. »Gute Arbeit, so ist es einfacher.«
»Ich habe noch nie gesehen, wie jemand tatsächlich ohnmächtig wurde«, bemerkte Antoninus Wervel. Der Kohlstift, der seine Augenbrauen miteinander verband, war verwischt und verlaufen von seinen Tagen in der Todeszone, so dass er eher seltsam als bedrohlich aussah. »Sehr gut, sind wir so weit?«
»Dreißig Sekunden«, blaffte Tomaki.
Die Sa’ceurai, die bis zu diesem Moment perfekte Ordnung aufrechterhalten hatten, schossen davon und plünderten hektisch jeden Pavillon, den sie erreichen konnten. Kaldrosa zählte, und sämtliche Krieger waren bei achtundzwanzig zurück. Bei dreißig streckte Antoninus Wervel die Hand gen Himmel, und eine blaue Flamme schoss hinauf und wurde an ihrem Scheitelpunkt grün.
Dann warteten sie. Eine angespannte Minute später antwortete ihnen eine zweite grüne Flamme, die sich von der gegenüberliegenden Seite des Schwarzen Hügels in den Himmel hinaufzog.
»Wir gehen nach Osten, durch die Todeszone«, sagte Tomaki. »Los!«
93
Inmitten des Tumults von klirrenden Waffen, Flüchen, von kreisenden Schwertern, Axthieben, dem gedämpften Knacken brechender Knochen oder berstender Schädel, dem Pfeifen von Luft, die aus Kehlen austrat statt aus Mündern und Nasen, dem vertrauten Gestank von Blut und Galle und im Sterben entleerter Leiber, von Angstschweiß und dem Schweiß der Anstrengung,
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