Jenseits Der Schatten
Säbelzahntigers heilte, und wenige Momente später stand er wieder aufrecht da. Überall wiederholte sich die Szene. Die Vürdmeister ersetzten sofort die mächtigsten der Krul, die sie verloren.
Kylar zog Curoch und enthauptete den Vürdmeister und dann einen weiteren, bevor dieser den rothäutigen Krul wiederbeleben konnte, und spaltete einen dritten der Länge nach. Durch das Gedränge von Leibern sah er Vi. Ein Krul schlug ihr mit einer Klaue auf den Arm, aber die Klaue prallte von ihr ab, als sich ihr blutrotes Kleid wie eine Rüstung verhärtete. Sie hieb dem Krul den Arm ab und sah Kylar in die Augen. Sie deutete hinter ihn.
Dort ragte riesig der Titan auf. Er hatte den Schwarzen Hügel aufgebrochen, und jetzt kam er, um Krieg zu führen. Die schiere Größe dieser Kreatur war kaum zu fassen. Sie war beinahe wie ein Mensch geformt, ihre Haut von einem kühl leuchtenden Blau unter Schuppenpanzerung, ihr Haar goldfarben, kurz und borstig wie das eines ungebärdigen Jungen, ihre Augen schwarz mit silbernen, senkrechten Iris wie bei einer Katze, ihre Muskeln glatt und schön. Aber wenn der Titan von vorn ein Gott war, so war er von hinten ein Dämon. Riesige Stacheln ragten aus seinem Rückgrat, Reptilienflügel hingen von seinen Schultern herab, und ein rattenähnlicher, behaarter Schwanz schleifte hinter ihm her. Er schwang einen mit Dornen bewehrten Pfahl wie einen Knüppel.
»Kylar!«, rief Vi. »Töte ihn!«
Kylar konnte sie nahe genug spüren, um zu wissen, dass sie das Band nicht hatte herauf beschwören wollen, aber sie hatte es dennoch getan. Als habe ein Hieb mit der neunschwänzigen Katze ihm Beine gemacht, konzentrierte er sich sofort und unwiderruflich auf den Titanen. Er hatte keine Wahl.
92
Kaldrosa Wyn lag im Schatten der Leiche eines riesigen Krul. Er hatte die Gestalt eines Bären, aber schartige, bleiche Haut ohne jedwedes Fell. Sie befand sich fast auf dem Gipfel einer kleinen Anhöhe in der Todeszone, nördlich des Schwarzen Hügels - oder nördlich von dem Ort, wo der Schwarze Hügel gewesen war. Die Kuppel war wenige Minuten zuvor eingestürzt, was ihr einen höllischen Schrecken eingejagt hatte. Aus ihrer Position konnte sie mehrere hundert der anderen Soldaten sehen. Die meisten von ihnen waren Sa’ceurai, die übrigen waren Agons Hunde. Sie war gekommen, weil ihr Ehemann, Tomman, hergekommen war, und wenn er eine so gefährliche Mission wie diese unternahm, begleitete sie ihn.
In der Ferne ertönte ein leiser Pfiff, und Sekunden später wurde er von jemandem wiederholt, der ihr näher war. Es wurde Zeit. Kaldrosa zog den schlammigen Beutel zu ihren Füßen hoch und öffnete ihn. Langsam und vorsichtig kleidete sie sich an und versuchte, Blut in ihre steifen Arme und Beine zu massieren. Sie waren zwei Tage lang durch Schlamm gekrochen und hatten darin gelegen, und es war ein Wunder, dass sie sich überhaupt bewegen konnte. Sie hatten ihre Rüstung und ihre Waffen geschwärzt, so dass sie das Sonnenlicht nicht reflektierten, aber sie war trotzdem so leise wie möglich. Sie wollten den Erfolg ihres Schachzugs so kurz vor seiner Vollendung nicht verderben.
Das größte Problem waren die ymmurischen Bögen. Um sie zu spannen, wärmten die Ymmuri sie mindestens eine halbe Stunde lang an einem Feuer. Das kam nicht infrage. Jemand hatte das jedoch vorausgesehen, und die Bogenschützen versammelten sich um einen alten, mit Kohlstift geschminkten modainischen Magus namens Antoninus Wervel.
Otaru Tomaki, einer von Lantano Garuwashis Ratgebern, führte das Kommando. Kaldrosa wusste nicht, was er gesehen hatte, das ihn zu der Entscheidung veranlasste, jetzt gleich anzugreifen - oder ob er überhaupt etwas gesehen hatte. Nachdem sie den letzten Lederriemen zwischen Tommans Schultern mit tauben Fingern festgezurrt hatte, streckte sie den Kopf über den Bären hinaus und wich vor seiner Berührung nicht zurück. Ihr Grauen über die Ungeheuer hatte in der letzten Nacht seinen Gipfel erreicht. Sie wäre vielleicht wahnsinnig geworden, hätte Tomman nicht neben ihr gelegen, seine Finger mit ihren verschränkt. Jetzt waren die Ungeheuer lediglich Fleisch und noch dazu Fleisch, das seltsamerweise nicht stank.
Die Zelte der khalidorischen Führer schienen beinahe verlassen zu sein. Etwa zwanzig Pavillons waren in einem groben Kreis aufgestellt, aber nur sechs Wachen patrouillierten in dem Bereich, und sie konzentrierten sich auf einen Pavillon neben dem größten. Vier Meisterinnen standen darum
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