Jenseits Der Schatten
im Umgang mit menschlichen Wesen niemals auf Logik oder Konsequenz verlassen durfte. So oder so, Kylars Arbeit war noch nicht beendet.
Die Sa’ceurai schliefen noch. Kylar beging nicht den Fehler zu denken, dies bedeute, dass der morgendliche Angriff sie unvorbereitet getroffen hätte. Sie konnten ausschlafen und trotzdem die Cenarier niedermetzeln, ohne auch nur das Frühstück zu versäumen.
Es hatte aufgehört zu schneien, so dass Kylar nicht lange brauchte, um zu Lantano Garuwashis Zelt zu gelangen. Der Kriegsführer schlief auf einer einfachen Matte an der Seite.
Kylar blieb an einem Tisch voller Landkarten stehen. Er hatte noch nie so detaillierte Karten gesehen. Da waren Karten von der Stadt, auf denen verschiedene Ziele mit drei unterschiedlichen Farben gekennzeichnet waren. Kylar war sich nicht einmal sicher, wofür die Farben standen. Außerdem fanden sich Karten von der Umgebung der Stadt, mit markierten Erhebungen und Hinweisen auf den Zustand von Straßen sowie eine bemerkenswert
genaue Karte des Schmugglerarchipels. Kästchen mit Regimentsflaggen darin repräsentierten die verschiedenen innerhalb und außerhalb der Stadt aufgestellten Truppen, selbst die neuen Karnickelregimenter, was bedeutete, dass die Ceuraner bereits Spione in der Stadt hatten, denen es gelang, Nachrichten zu übermitteln. Daneben sah Kylar Karten des ganzen Landes in kleinerem Maßstab, auf denen sowohl bekannte als auch unbekannte Gebiete verzeichnet waren. Sie wussten nicht, wer Schreiende Winde im Norden hielt. Sie waren sich nicht sicher, was die Stärke der Lae’knaught im Südosten betraf. Aber auf der letzten Karte fanden sich Kästchen, die Cenarias Ende bedeuteten.
Sie stellten Logans Streitmacht dar, die man für eine Spur größer hielt, als sie tatsächlich war, und der auf dem Fuße ceuranische Verstärkungstruppen folgten.
Ich bin kein General, ich bin nur ein ehemaliger Blutjunge. Und ein Narr. Kylar hatte betrachtet, was vor seinen Augen war, und gedacht, er wisse mehr über die Situation als die Generäle der Stadt. Lantano Garuwashi war ohne Pferde oder Proviant vor die Stadt geeilt, was jedoch nicht bedeutete, dass er nicht beides folgen ließ.
Sein Tross war nur wenige Tage entfernt, hinter Logans Armee, und Logan würde ihn nicht zu Gesicht bekommen. In der Zwischenzeit hatte Garuwashi dem Tross bereits ein Kontingent von Sa’ceurai entgegengeschickt, der Logans Truppen umgehen sollte.
Unter den Papieren waren Pläne, nach denen Piraten in Dienst genommen werden sollten, um die Schmugglerrouten in die Stadt abzuschneiden, während andere im Labyrinth Rebellionen anstacheln sollten. Die Ceuraner verhandelten bereits mit den Sa’kagé, von denen die Generäle wussten, dass sie geheime Wege in die Stadt hatten. Gegenwärtig boten die Sa’kagé keine guten Bedingungen an, aber die Generäle waren zuversichtlich, dass die Angebote der Sa’kagé verlockender werden würden, sobald der Vorratszug
eintraf und die hungrigen Cenarier sie beim Festmahl sahen.
Je mehr er las, umso übler wurde Kylar. Natürlich würden die Sa’kagé mit den Ceuranern verhandeln. Es war eine Sache, eine Zusammenarbeit mit den Khalidori auszuschlagen, die ganz Cenaria auslöschen wollten, aber eine vollkommen andere, eine ungeliebte Königin an einen vernünftigen Mann zu verraten, der sich nicht in die Angelegenheiten der Sa’kagé einmischen würde. Sobald dieser Vorratszug eintraf, würde Momma K das Ende voraussehen. Sie würde versuchen, das Blutvergießen möglichst gering zu halten. Und was war besser: dass Tausende im Labyrinth starben oder dass hundert adlige Köpfe rollten? Die Schmugglertunnel würden sich schon bald mit Sa’ceurai füllen.
»Nachtengel«, begrüßte ihn Lantano Garuwashi und erhob sich von seiner Matte.
Kylar war davon überzeugt, noch immer unsichtbar zu sein. Er betrachtete die Papiere in seiner Hand, die anscheinend in der Luft hingen. Dann ließ er die Unsichtbarkeit fallen. »Guten Morgen, Kriegsführer.«
Lantano Garuwashi war einer jener seltenen Männer, die halbnackt ehrfurchtgebietender aussahen als in voller Rüstung. Er hatte kein Fett am Körper, und wo die meisten schnellen Schwertkämpfer schlanke Muskeln besaßen wie Kylar, hatte Garuwashi den Oberkörper eines Schmieds; jeder Muskel war scharf definiert - und überaus kraftvoll. Auf seinen Armen, seiner Brust und seinem Bauch fanden sich etliche Narben, aber keine von ihnen war tief genug, als dass sie Muskeln durchtrennt und
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