Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
herzlichst, Sofie O'Neil.
    Hastig, ehe der Mut sie zu verlassen drohte, faltete sie den Brief, steckte ihn in den Umschlag, versiegelte das Kuvert sorgfältig mit Wachs und war froh, dass keine Tränenspuren darauf sichtbar waren.
    Kapitel 19
    Kapkolonie, Afrika - August 1902
    Der Spaten stach knirschend in den Boden. Der Stiefelabsatz drückte das Schaufelblatt tiefer, dann wurde es hoch gewuchtet, und die trockene, rote Erde flog im hohen Bogen auf den Aushub. Staub wirbelte auf. Wieder stach der Spaten in den Boden, und erneut wurden Staub und Steine auf den Aushub geworfen. Er arbeitete in blindem Eifer, bewegte sich im gleichbleibenden Rhythmus, mechanisch wie eine Maschine. Er achtete nicht auf das brennende Ziehen der überdehnten Sehnen und Muskeln seiner Arme. Er achtete nicht auf seine schmerzende Rückenmuskulatur, die seit Stunden zu harten Knoten verspannt war. Er ignorierte den Schweiß, der ihm in glitzernden Bächen seinen geschundenen Körper hinab lief. Er hörte nicht auf - als bereite ihm die selbstauferlegte Folter ein perverses Vergnügen. »Warum heuern Sie nicht ein paar Männer an?«
    Edwards Kopf fuhr hoch. In einiger Entfernung stand ein alter Mann und schaute ihm zu. Edward kannte ihn vom Sehen. Er war Farmer, der keine Farm mehr hatte. In den blutigen Auseinandersetzungen im vergangenen Frühjahr waren sein Haus und sein Vieh verbrannt, seine Felder verwüstet worden. Edward glaubte sich zu erinnern, dass seine Frau und zwei Söhne in den Flammen umgekommen waren.
    Edward wusste, dass etwas in ihm gestorben war, weil er keine Trauer über das grauenvolle Schicksal des alten Mannes empfand. Er fühlte nichts, überhaupt nichts, nur Leere.
    Edward ließ den Spaten fallen. Er hatte seit Sonnenaufgang ohne Pause gearbeitet und würde bis Sonnenuntergang weiterschuften. Nun schleppte er sich in den Schatten eines einsamen knorrigen Baumes, wo er Gerätschaften und Proviant abgelegt hatte. Er bückte sich nach der Feldflasche und trank. Der alte Mann sah ihm dabei zu; er schien nicht die Absicht zu haben, sich aus dem Staub zu machen. Edward beachtete ihn nicht.
    »Wieso heuern Sie keine Hilfskräfte an? In der Stadt laufen genügend Burschen rum, die froh um Arbeit wären«, krächzte der Alte wieder. »Ich arbeite lieber allein«, antwortete Edward schroff. Er wollte nicht reden. Nicht wirklich. Er hatte seit Monaten kaum geredet. Das letzte Gespräch hatte er an Weihnachten mit Sofies Mutter gehabt. Am nächsten Morgen hatte er sich auf einem englischen Handelsdampfer nach Afrika eingeschifft.
    »Sie können es sich leisten«, fuhr der Alte fort und musterte ihn mit flinken Vogelaugen. »Jeder weiß, dass Sie reich sind, obwohl Sie nicht danach aussehen. Aber mit den Diamanten werfen Sie rum, als würden sie wie Unkraut aus dem Boden schießen.«
    Edward nahm schweigend wieder die Schaufel zur Hand. Mit Diamanten hatte er Geräte und Vorräte gekauft, als er im Februar in Südafrika angekommen war. Über Bargeld verfügte er schon in New York nicht mehr, und das war auch der Grund, warum er überhaupt zurück in diese Hölle gekommen war, um wieder in seiner Diamantenmine zu schuften. Das war der ausschließliche Grund und hatte mit nichts und niemandem sonst zu tun.
    Letzte Woche war ein Vertreter der DeBeers Company in der Stadt aufgetaucht und wollte seine Mine kaufen.
    Edward hatte das Angebot in einem Anfall geistiger Umnachtung abgelehnt. DeBeers hatte ihm ein Vermögen geboten er hätte der Hölle entkommen und nach Hause fahren können. Aber wo war das eigentlich? New York?
    War sein Zuhause der Rohbau seiner Villa an der Fifth Avenue? Oder war sein Zuhause die Luxussuite im Hotel Savoy, die er sich jetzt wieder leistenkonnte? Mit Sicherheit war er nicht in Kalifornien zu Hause. Er konnte sich nicht vorstellen, je wieder nach Rancho Miramar zurückzukehren, wo sein Vater mit Edwards Bruder Slade und dessen Ehefrau und Kind lebte. Sein Zuhause war auch nicht San Francisco, wo seine Mutter alleine lebte. Edward hatte kein Wort mit ihr gesprochen, seit seine Eltern sich vor zwei Jahren getrennt hatten.
    Seine Eingeweide krampften sich zusammen. Sein ganzer Körper verspannte sich, und seine Schläfen pochten dumpf. Es gab keinen Grund zu verkaufen. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Es gab keinen Ort auf der ganzen Welt, wo er hätte sein wollen. Es sah so aus, als würde Hopeville in der afrikanischen Kapkolonie sein Schicksal, seine Bestimmung sein.
    Ganz sicher nicht Paris, die

Weitere Kostenlose Bücher