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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wänden blätterte Farbe und an manchen Stellen auch der Putz.
    Es war ein alter, heruntergekommener Mietskasten, der sich in nichts von New Yorker Wohnblöcken in Arbeitervierteln unterschied, in denen die Ratten hausten. Der ganze Montmartre schien aus halb verfallenen, verrotteten Mietshäusern und zwielichtigen Spelunken zu bestehen. Die Bewohner dieses verruchten Viertels schienen allesamt Zuhälter, Prostituierte, Bettler, Trunkenbolde und Diebe zu sein. Edward konnte es nicht fassen, dass Sofie hier mit ihrem Kind wohnte.
    Nicht zum ersten Mal fragte Edward sich, ob sein Kind ein Junge oder ein Mädchen war. Vor seinem geistigen Auge entstand wieder das Bild wie beim ersten Mal an jenem schicksalhaften Tag im August, als ihn die Nachricht seiner Vaterschaft beinahe erschlagen hatte. Sofie stand vor ihm und hielt ein Bündel an sich gedrückt. Sie lächelte sanft, heiter und glücklich. Ihr Lächeln war jedoch nicht auf das Kind gerichtet, sondern auf ihn.
    Ein Schauder durchlief ihn. Sie hätte ihn früher benachrichtigen müssen, sie hätte es ihm sofort sagen müssen. Sie musste gewusst oder zumindest den Verdacht gehabt haben, dass sie schwanger war, als sie im Herbst nach Paris ging. Edward klopfte lauter an die Tür. Ihr Schweigen war unverzeihlich. Sofie würde ihn nicht wie eine verliebte Närrin anstrahlen. Sie war nie in ihn verliebt gewesen. Diese Vermutung war sein größter Fehler gewesen. Nein, sie würde ihm gefasst und kühl begegnen, als seien sie flüchtige Bekannte, nichts weiter. Als sei sie nicht die Mutter seines Kindes, als hätten sie niemals eine heiße Liebesnacht verbracht.
    Zum Teufel, wie kam sie dazu, in dieser Bruchbude zu wohnen? Sie gehörte nicht hierher. Ein junges Mädchen wie Sofie konnte unmöglich hier wohnen. Sein Kind konnte nicht hier wohnen. Unverheiratete Damen aus gutem Haus, auch solche mit radikaler Gesinnung wie Sofie O'Neil, lebten in luxuriösen Wohnungen in einer vornehmen Gegend mit einer Gesellschafterin und Hauspersonal. Edward klopfte wütend gegen die Tür.
    Er holte tief Luft, um sein Zittern und seine brodelnde Wut zu beherrschen. Sollte sie tatsächlich hier wohnen - und dies war die Adresse, die sie als Absender angegeben hatte -, würde er dafür Sorge tragen, dass sie umgehend ein anderes Quartier bezog. Sein Kind durfte auf keinen Fall in Armut und Verwahrlosung aufwachsen.
    Edward warf die Zigarette zu Boden und drückte sie mi dem Absatz aus. Abrupt wandte er sich zum Gehen. In de Galerie Durand-Ruel würde ihm mit Sicherheit jemand Auskunft über Sofies Verbleib geben können.
    Schritte kamen die Treppe herauf. Edward zögerte und überlegte, ob er einen der Hausbewohner nach Sofie fragen sollte. Ein Mann stieg die Stufen herauf, stutzte bei Edward Anblick und blieb verblüfft stehen.
    Edward spürte ein befremdliches Kribbeln im Nacken Er war diesem Fremden nie begegnet, der ihn mit großen Augen ansah, als kenne er ihn. Während er ihn anstarrte sah Edward, dass in seinen blauen Augen Zorn aufblitzte Edward hatte nicht nur das unangenehme Gefühl, der Mann kenne ihn - er haßte ihn auch.
    Aber das war völlig absurd. Edward hatte den Kerl nie zuvor gesehen.
    Der Fremde schien sich von seinem Schreck zu erholen und stieg weiter die Stufen herauf, bis er auf dem Treppenabsatz neben Edward stand. Er war schäbig gekleidet, in geflickter Hose, schwarzen Stiefeln, Baumwollhemd und zerknittertem Jackett. Dennoch sah er verblüffend gut aus »Wollen Sie zu Sofie?«
    Edwards Herz machte einen erschrockenen Satz. Sofie wohnte also tatsächlich hier. Und sie kannte diesen Mann Edward bebte, begann zu ahnen, worauf die Feindseligkeit des Fremden zurückzuführen war. »Wohnt sie tatsächlich hier?« fragte er und zündete sich die nächste Zigarette an.
    »Ja.« Die blauen Augen des Fremden funkelten. Dann wandte er Edward den Rücken zu und klopfte an die Tür
    »Sofie? CWrie, c'est Georges. Ouvre-moi.«
    Edward verzog verächtlich den Mund. Er sprach nicht französisch, aber das Wort cherie verstand er sehr wohl, genauso gut, wie er die Feindseligkeit dieses Georges verstand.
    Der Franzose drehte sich zu ihm um. »Sie ist nicht zu Hause.«
    »Nein.«
    »Weiß sie, dass Sie kommen?«
    »Nein.« Edward lächelte unangenehm. »Noch nicht.«
    Georges schwieg. Die beiden Männer beäugten einander wie zwei wütende Stiere in einer winzigen Arena. Dann ergriff Georges wieder das Wort. »Im Atelier ist sie auch nicht. Da war ich gerade. Vermutlich ist sie mit

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