Jenseits Der Unschuld
sehr viel mehr Eigensinn und Willenskraft zu besitzen, als sie vermutet hatte.
Sofie war nicht nur zum Ball erschienen, sie hatte Suzanne wutentbrannt angegriffen, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.
Hatte sie ihre Tochter für immer verloren? Hatte Sofie all die bösen Vorhaltungen wirklich ernst gemeint? Wusste sie nicht, wie sehr ihre Mutter sie liebte?
Suzanne plauderte mit den Gästen, doch sie nahm ihre Pflichten als Gastgeberin wie in Trance wahr, ohne wirklich zuzuhören, ohne eigentlich zu wissen, was um sie herum vorging. Wenn sie Sofie nur finden und mit ihr reden könnte.
Ihr Puls raste, ihre Handflächen waren feucht. Die Szene mit Sofie war schlimm genug gewesen. Zu allem Überfluss war Jake auch noch aufgetaucht. Wenn ich ihm begegne, bringe ich ihn um. Wie konnte er es wagen, hier zu erscheinen!
Suzanne hatte ihm zwei weitere Briefe geschrieben, die er nicht beantwortet hatte. Im letzten Brief hatte sie sich für den Überschwang ihrer Gefühle entschuldigt und ihm versichert, sie habe sich geändert und sei ein besserer Mensch geworden. Und sie hatte ihm erneut ihre ewige Liebe geschworen.
Doch der Mistkerl hatte sich wieder nicht gemeldet.
Und nun tauchte er einfach hier auf, wagte es, uneingeladen Benjamins Haus zu betreten. Was hatte er vor? Wollte er ihre Ehe ruinieren? Wollte er sie öffentlich bloßstellen?
Mit gekünsteltem Lächeln nickte sie einem Freund Benjamins zu und suchte Schutz hinter einer Säule, um sich zu beruhigen. Sofies kränkende Vorwürfe konnte sie nicht vergessen, und sie wurde die grauenvolle Angst nicht los, Jake könne von einem der Gäste erkannt werden. Wenn das geschah, war Suzanne für alle Ewigkeit ruiniert. Sie haßte ihn weit mehr als sie ihn liebte - aber sie hatte ihn nie dringender gebraucht als jetzt.
Dann entdeckte sie ihn. Jake stand an eine Säule gelehnt und nippte an einem Glas Champagner. Atemberaubend gutaussehend, lässig, selbstbewusst hochmütig. Ihre Blicke trafen sich. Jake hob den Champagnerkelch und lächelte ihr spöttisch zu.
Zorn brandete in ihr auf. Es kribbelte ihr in allen Fingern, ihm das spöttische Grinsen aus dem Gesicht zu kratzen.
Doch sie musste ihrem Zorn Einhalt gebieten. Wenn jemand ihr jetzt helfen konnte - so Jake. Letztlich war er der Fels in der Brandung, ihr Rettungsanker.
Suzanne bemühte sich, ihr Zittern zu unterdrücken, und ging auf ihn zu, um in der nächsten Sekunde zu Eis zu erstarten.
Der Marquis von Connaught war an Jake herangetreten. Und zum ersten Mal seit Jahren sah sie Jake O'Neil lächeln; ein echtes, herzliches Lächeln. Die beiden Männer reichten einander die Hand. Suzanne sah es voller Entsetzen und Unglauben. Die beiden kannten einander? Nun legte der Marquis einen Arm um Lisa und stellte sie vor. Suzanne drohte der Boden unter den Füßen zu schwinden.
Hatte es noch nicht genügend Katastrophen an diesem Abend gegeben?
Lisa kannte nicht nur das Porträt, das Sofie von Jake gemalt hatte, sie kannte auch die Fotografie, die Sofie als Vorlage gedient hatte. Jake hatte sich kaum verändert. Lisa würde ihn mit Sicherheit erkennen.
Die Zeit schien stehenzubleiben. Im nächsten Augenblick würde Suzannes Leben zerstört sein, und diesmal gab es keine Rettung.
Doch Lisa fiel weder in Ohnmacht, noch schrie sie laut auf. Sie nickte Jake höflich zu, bleich und angespannt, und dann entfernten sich die Verlobten. Suzanne entfuhr ein tiefer Seufzer der Erleichterung.
Die festliche Ballnacht hatte eben erst begonnen. Was würde geschehen, wenn der Marquis den ungebetenen Gast ihrem Gatten vorstellte? Benjamin würde Jake erkennen.
Mit entschlossenen Schritten steuerte Suzanne auf Jake zu.
Er lehnte wieder an der Säule und sah ihr mit dem taxierenden, unverschämten Blick des Eroberers entgegen, der ein dunkles Sehnen in Suzannes Leib weckte. Angst und Zorn vermochten nicht das Verlangen nach ihm zu schmälern. Er war der Mann ihrer Träume, der einzige Mann, den sie je begehrt hatte. Sie wollte ihn wiederhaben, seit sie wusste, dass er am Leben war.
Und sie würde ihn wiederhaben, koste es, was es wolle. Und wenn sie daran zugrunde gehen sollte.
Suzanne zwang ihre Gedanken in die Gegenwart zurück, was ihr nicht leichtfiel, so heiß rauschte ihr das Blut durch die Adern. »Was tust du hier?« schnarrte sie. »Bist du wahnsinnig? Was ist, wenn dich jemand erkennt?«
Seine weißen Zähne blitzten. >Julian hat mich eingeladen.«
»Julian?« fragte sie fassungslos. »Woher, in Gottes
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