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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
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wie eine leibliche Schwester. Und eines Tages wirst du mir verzeihen, dass ich mich in dein Leben eingemischt habe.«
    Mit diesen rätselhaften Worten verschwand sie in der Dunkelheit.
    Sofie hielt sich die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Im Lichtschein sah sie, wie Lisa sich auf einen dicken Ast der Eiche schwang. Dann kroch sie bäuchlings auf dem gefährlich schwankenden Ast dem mächtigen Stamm zu. »Verflixt«, murmelte sie ein paarmal, dann hatte sie den Stamm erreicht und begann den Abstieg, vorsichtig mit den Füßen an den unteren Ästen Halt suchend. Sofie verfolgte ihre Kletterkünste bangen Herzens. Schließlich hielt Lisa sich am untersten Ast fest und hing baumelnd in der Luft. Sofie umklammerte das Fensterbrett, als ihre Schwester den Absprung wagte. Sie landete im Gras und sackte in sich zusammen.
    »Lisa!« flüsterte Sofie bang. »Lisa! Hast du dir weh getan?«
    Lisa richtete sich auf und rieb sich die Hüfte. Dann hob sie den Kopf und winkte herauf. »Nein. Alles in Ordnung!«
    Sie kam etwas mühsam auf die Beine, nahm ihren Koffer und warf Sofie eine Kusshand zu. Dann rannte sie über die Kiesauffahrt zum Tor hinaus und war verschwunden.
    Sofie lehnte sich ans Fenster. Gütiger Himmel, Lisa war weggelaufen. Es dauerte einige Minuten, ehe sie sich gefasst hatte. Dann eilte sie zur Tür, ließ den Riegel von innen zuschnappen und schlüpfte auf den Flur. Als sie die Tür zuklappte, hörte sie, wie der Riegel mit einem Klicken einrastete.
    Sofie konnte über Lisas gelungene Flucht keine Genugtuung empfinden, obgleich der Marquis dadurch eine schmachvolle Niederlage einstecken musste, die er verdient hatte. Doch Sofie hatte das beunruhigende Gefühl, er würde den Kampf nicht aufgeben, sich nicht wie ein geprügelter Hund zurückziehen und nach England abreisen.
    Sofie seufzte. Edward wartete unten in der Halle auf sie, und wenn sie nicht bald erschien, würde er die Treppe herauf stürmen.
    Während sie den Korridor entlangging, dachte Sofie an Lisas Abschiedsworte. In welcher Weise hatte Lisa sich in ihr Leben eingemischt? Und plötzlich wusste sie die Antwort! Lisa hatte Edward wissen lassen, dass Sofie zum Ball kommen würde. Sofie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
    »Hier wohnst du?« fragte Edward, als er den Daimler anhielt.
    Sofie bedauerte, ihre Zustimmung gegeben zu haben, er könne Edana noch heute Abend sehen. Es war kurz nach elf Uhr nachts; die Fahrt von der Upper East Side bis zu den Docks hatte lange gedauert. Von Henry hatte sie sich nicht verabschiedet, da sie ihn nicht finden konnte.
    Nun saß sie im Daimler, in Lisas schwarzem Samtmantel gehüllt, und war sich Edwards Gegenwart beklommen bewusst. Sie liebte ihn und begehrte ihn in sündiger, schockierender Weise. Bruchstücke verlorener Augenblicke aus der Vergangenheit quälten sie, Momente des Glücks wie jener Nachmittag im Delmonico. Und sein stürmischer Kuss vor wenigen Stunden. Zugleich wuchs ihr Argwohn gegen ihn, sie fürchtete seine Unberechenbarkeit seinen Jähzorn.
    »Hier kannst du nicht wohnen, Sofie«, herrschte Edward sie an. »Im Hafenviertel treibt sich zwielichtiges Gesindel herum.«
    Wie zur Bestätigung seiner Worte tauchten aus dem Dunkeln ein paar grölende, betrunkene Seeleute auf und taumelten die Straße entlang. »Ich habe wenig Geld«, entgegnete sie schroff. »Was sollte ich denn tun, Edward?«
    Er wandte sich ihr zu. »Weigert Suzanne sich, dir Geld zu geben?«
    Sie blinzelte.
    »Weil du Edana nicht adoptieren lassen willst?«
    Sie schnappte nach Luft. »Du weißt es! «
    »Ich weiß es.«
    Tränen brannten ihr in den Augen. »Ja.«
    Seine Stirn verdüsterte sich. »Du musst dir keine Sorgen machen. Nicht darüber -über nichts mehr. «
    Sofie schloss die Augen und sank in die Lederpolster zurück. Edward liebte sein Kind. Er würde Unterhalt für Edana bezahlen und auch für sie. Sie hätte wissen müssen, dass Edward ihre Rettung war. Dankbarkeit wallte in ihr hoch. »Vielen Dank.«
    Edward stieg schweigend aus und half Sofie aus dem Wagen. Er half ihr über die von tiefen Wagenspuren durchfurchte Straße und über die durchgetretenen Holzbretter der halbverfallenen Veranda. Sofie holte den Hausschlüssel aus ihrer Abendtasche. Edward nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und sperrte die Tür auf. Wie ein fürsorglicher Ehemann, dachte Sofie bitter. Wäre sie allerdings mit ihm verheiratet, würden sie nicht in einer verkommenen Pension an den Docks des East River

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