Jenseits Der Unschuld
leben. Wenn sie mit ihm verheiratet wäre, würde er die Tür zu einer Luxusvilla aufschließen.
Und diese feindselige Spannung wäre nicht zwischen ihnen. Eine Spannung geboren aus Argwohn, Verrat und Kränkung auf beiden Seiten. Aber auch eine Spannung knisternder Erotik.
Er hatte behauptet, ihr freizügiges Ballkleid habe ihn dazu verführt, sie zu küssen. Doch nun trug sie einen hochgeschlossenen Mantel und wusste, dass er sich ihrer Nähe ebenso bewusst war wie sie sich seiner. Das gab ihr eine gewisse Genugtuung. In den letzten eineinhalb Jahren war eine Veränderung in ihr vorgegangen, als habe das hässliche Entlein sich zu einem stolzen Schwan entpuppt. Aus dem verkrüppelten, verschüchterten Mädchen war eine begehrenswerte Frau geworden.
Nicht nur für Edward. Auch Georges Fraggard in Paris hatte sie begehrenswert gefunden und Henry Marten. Noch vor zwei Jahren hätte Sofie bei der Vorstellung hellauf gelacht, ein Mann könne sie reizvoll finden - geschweige denn drei Männer. Und zwei dieser drei Männer hatten ihr sogar ihre Liebe gestanden.
Sofie verdrängte ihre unangebrachten, törichten und gefährlichen Gedanken. Stattdessen drehte sie die Gaslampe in der Diele heller. Die Holzstufen im düsteren Treppenhaus knarzten. Im ersten Stock öffnete sie leise die Tür zu ihrem Zimmer. Edana schlief in einem Behelfsbettchen, das sie aus einer Obstkiste gebastelt hatte. Sofie beugte sich über das Kind und zog die Decke hoch. Sie schämte sich, dass Edward seine Tochter so sehen musste, in einem schäbigen Pensionszimmer, in einer Holzkiste, zugedeckt mit Rachelles rotem Wollschal.
Edward war neben sie getreten. Sofie hob den Blick zu, ihm. Edward beugte sich über seine Tochter, und in seinem Gesicht spiegelte sich Rührung. »Ich dachte, ich hätte sie verloren«, murmelte er heiser. »Ich dachte, du hättest sie mir weggenommen, und ich würde euch beide nie mehr wiederfinden.«
Sofie schämte sich. »Ach Edward, was ich getan habe, war falsch, furchtbar falsch. Verzeih mir! «
Er sah sie an, ernsthaft und forschend. Sofie verschränk-. te die Hände ineinander, um der Versuchung zu widerstehen, ihn zu berühren, ihn zu trösten.
Sie sahen einander lange und tief in die Augen, und es geschah etwas zwischen ihnen. Ein Band, das bereits zwischen ihnen geknüpft war, verstärkte sich. Und in diesem Augenblick wusste Sofie, dass Edana die Macht hatte, Edward an sie zu binden. Ein Glücksgefühl durchströmte sie.
Edwards Mund näherte sich.
»Cherie, du kommst viel zu früh nach Hause!« ertönte Rachelles Stimme. »Oh, pardon!«
Sofie erschrak. Wäre Rachelle nicht in der Tür zwischen beiden Zimmern erschienen, hätte Edward sie geküsst.
Sofie trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. Es war besser so. Sie durfte sich nicht mit ihm einlassen.
Sie durfte., sich nicht von ihrem Herzen auf Abwege führen lassen. Ein zweites Mal könnte sie den Schmerz nicht ertragen.
»Pardonnez-moi«, wiederholte Rachelle, und ihr Blick flog zwischen den beiden hin und her.
»Komm nur herein, du störst nicht«, erklärte Sofie eine Spur zu laut, eine Spur zu herzlich. »Rachelle, du erinnerst dich an Edward.«
Rachelle nickte. Edwards Blick streifte sie, und Sofie, glaubte, seine Ablehnung ihrer liebsten Freundin zu spüren.
»Bien sür«, murmelte Rachelle. »Enchante, Monsieur.«
Edward nickte knapp und wandte sich an Sofie. »Ihr könnt nicht hierbleiben. «
»Wieso nicht?«
»Unmöglich. Ich erlaube nicht, dass Edana in einer solchen Umgebung lebt. Sag bloß nicht, du fühlst dich hier wohl, Sofie! «
In Sofie kämpften Angst, Argwohn und Hoffnung. »Was schlägst du vor?«
»Ich miete euch eine Suite im Savoy, bis wir eine bessere Lösung gefunden haben«, antwortete Edward mit Bestimmtheit.
Sofie nickte bedächtig. »Einverstanden.«
»Packt eure Sachen. Ihr bleibt keine Nacht länger in diesem Rattenloch.«
Sofie war nur einmal im Savoy gewesen. Damals, als sie Edward aufgesucht hatte, um seine Geliebte zu werden, war sie mit gesenktem Blick durch die luxuriöse Halle gehastet, ohne nach links oder rechts zu sehen. Nun stand sie mit Edana im Arm neben Rachelle verloren im Foyer, während Edward das Zimmer bestellte.
Nach Mitternacht war die Hotelhalle leer, abgesehen vom Nachtportier am Empfang und dem Liftboy, der auf einem Hocker neben dem Aufzug döste. Sofie fühlte sich unbehaglich, kam sich verworfen vor, wie ein gefallenes Mädchen, das Edward auf der Straße
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