Jenseits Der Unschuld
gelassen und kühl erscheinen könnte wie Edward. Andererseits waren es nicht seine Bilder, über die Jacques ein Urteil fällen würde, es war nicht seine Seele, sein Leben, die der Kritik ausgeliefert waren.
Jacques trat ans nächste Bild. Er hatte Edwards Porträt lange Minuten studiert. Dem Genrebild schenkte er kaum Beachtung; das Blumenstilleben streifte er flüchtig und verweilte kurz vor Lisas Porträt. Die restlichen Bilder schienen ihn nicht zu interessieren. Erst vor Jakes Porträt blieb er wieder stehen. Seine Miene war ernst und verschlossen.
Sofie glaubte sterben zu müssen. Sie spürte Edwards Hand am Ellbogen.
»Mademoiselle O'Neil«, sagte Jacques plötzlich in seinem starken französischen Akzent, »Sie sind sehr begabt.«
Sofie fürchtete, in Tränen auszubrechen, wartete bang auf den vernichtenden Zusatz: Aber...
Und dann fuhr er fort: »Ich kann nur die Bilder nehmen, von denen ich weiß, dass ich sie verkaufen werde. Alle Ihre Bilder sind sehr interessant. Für das kleinformatige Männerporträt und das des jungen Mädchens finde ich mit Sicherheit Abnehmer.«
Sofie nickte. Wenigstens gefielen ihm Jakes und Lisas Porträts, die sie mit viel Liebe und Herzblut gemalt hatte.
Sie befahl sich streng, nur nicht die Fassung zu verlieren. Sie war stark genug, um Kritik zu ertragen.
»Ist das alles?« fragte Edward ungläubig.
»Die Szene im Arbeiterviertel ist großartig. Wirklich ausgezeichnet. Aber meine Kunden kaufen nicht einmal Genrebilder von Millet, noch weniger Interesse besteht an Genreszenen einer unbekannten Künstlerin.
Bedauerlicherweise kann ich es nicht nehmen. «
Sofie schluckte.
»Was ist mit dem Blumenstilleben?« wollte Edward wissen. »Es ist ein Meisterwerk.«
»Ich bin völlig Ihrer Meinung. Aber auch das verkauft sich schlecht.«
Sofies Augen brannten.
»Aber es gefällt Ihnen?« Edward ließ nicht locker.
»Es gefällt mir ausgesprochen gut. Es ist fabelhaft. Kraftvoll. Erinnert mich an Cezanne. Ist Ihnen Cezanne ein Begriff? Aber auch er verkauft sich schlecht bis gar nicht. Stilleren sind ohnehin eine heikle Sache.«
Sofie konnte kaum glauben, was sie da hörte. »Ich habe Arbeiten von Cezanne gesehen. Ich bewundere ihn sehr. Er ist ein großer Künstler. «
»Das sind Sie ebenfalls«, meinte Jacques anerkennend. »Lassen Sie sich nicht entmutigen. ich möchte auch das Porträt von Monsieur Delanza kaufen. «
Sofie stand reglos da. Dann begann ihr Herz zu hämmern. »Wirklich?«
»Ich weiß zwar nicht, ob ich einen Käufer finde, aber ich werde es einigen Kunden anbieten. Die figürliche Darstellung ist Ihre Stärke, Mademoiselle. Eine sehr schöne Arbeit. Verblüffend. ja, ich habe mein Herz daran verloren.«
Sofies Hoffnungslosigkeit war in Begeisterung umgeschlagen. »Edward! Er kauft Ihr Porträt! «
»Ich habe es gehört«, antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln.
»Wissen Sie«, fuhr Jacques fort, »ich bin Geschäftsmann, und es geschieht höchst selten, dass ich mehrere Bilder von einem völlig unbekannten Künstler kaufe.« Seine braunen Augen leuchteten wann.
»Ist das wahr?« jauchzte Sofie.
»Oui«, bestätigte er mit Nachdruck. »Vraiment. Wenn ich sage, Sie sind begabt und ich drei Arbeiten von Ihnen kaufe, sollten Sie davon ausgehen, dass es mir ernst damit ist.«
Sofie hatte das Gefühl, als würde sie jeden Moment vom Boden abheben und wie ein Luftballon in die Höhe schweben. Sie hielt krampfhaft Edwards Hand fest. »Ich habe gerade ein neues Bild begonnen, Monsieur.«
»Wenn ich die Bilder, die ich heute mitnehme, absetzen kann, werde ich weitere Arbeiten von Ihnen erwerben«, versicherte Jacques, und Sofie strahlte. »Aber hören Sie auf meinen Rat, wenn Sie Ihre Bilder vermarkten wollen.
Lassen Sie die Finger von Genrebildern und Stillleben, die verkaufen sich schlecht. Widmen Sie sich figürlichen Darstellungen, darin sind sie eine Meisterin.«
Sofie nickte eifrig. »Meine neue Arbeit ähnelt der Studie Junger Mann am Strand.«
»Gut«, nickte Jacques. »Nun zum geschäftlichen Teil.«
Sofie bekam große Augen, als Jacques die Brieftasche zog und ihr einige Banknoten entnahm. »Ich bin bereit, Ihnen zweihundert Dollar zu bezahlen«, bot er an. »Für die drei Porträts.«
»Zweihundert Dollar!« wiederholte sie tonlos. Das war nicht viel, aber sie hatte nicht ernsthaft daran geglaubt, überhaupt ein Bild zu verkaufen, und war begeistert, die erste finanzielle Transaktion ihres Lebens abzuschließen.
Ehe Jacques ihr
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