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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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spezielles Paradies 271
    zeichnen würden. Er schlenderte durch das Haus und machte sich in jedem Zimmer peinlich genaue Notizen; dabei ließ er sich verführerische Werbesprüche durch den Kopf gehen: Geräumig und makellos. Ein Haus, das selbst den
    anspruchsvollsten Käufer zufriedenstellt, 3 Schlafzimmer. 21/2
    Bäder mit Terrazzoboden. Birkenfurnier im Wohnzimmer, voll ausgerüstete Küche, überdachte Veranda...
    Unter Berücksichtigung von Größe und Lage des Hauses
    würde es einen guten Preis erzielen, das wußte er. Nachdem er das Erdgeschoß durchgesehen hatte, schloß er die Gartentür auf und ging hinaus. Selbst unten am Hügel lagen die Häuser weit auseinander. Man konnte den Garten von keinem Nachbarhaus einsehen. Wäre das möglich gewesen, hätten die Nachbarn sich vielleicht über seinen Zustand beschwert. Der Rasen war kniehoch, fleckig und unkrautüberwuchert; die Bäume mußten geschnitten werden. Er schritt über den von der Sonne erwärmten Boden, um sich den Pool anzusehen. Er war nicht abgelassen worden, nachdem Mrs. Lloyd, der das Grundstück gehörte, gestorben war. Das Wasser war flach und voller Algen, die grüner als das Gras waren, das zwischen den Fugen am Rand des Pools wuchs. Es roch schimmlig. Anstatt den Pool
    abzuschreiten, schätzte er ihn, weil er wußte, daß sein geübtes Auge fast so genau war wie ein Metermaß. Er schrieb die Maße gerade auf, als Wellen in der Mitte des Pools anfingen und über die träge Oberfläche auf ihn zuwogten. Er wich vom Rand zurück und machte sich eine Notiz, den Pool-Service
    schnellstmöglich hierherzuschicken. Was immer in dem Brackwasser hauste - Pilz oder Fisch -, dessen unrechtmäßige Untermieterschaft konnte nur noch nach Stunden gezählt werden. Das Wasser bewegte sich erneut; pfeilgleiche
    Bewegungen, die ihn an einen ganz anderen Tag und ein ganz anderes Gewässer, in dem es gespukt hatte, denken ließen. Er verdrängte die Erinnerung aus dem Kopf - versuchte es jedenfalls -, drehte sich um und lief zum Haus zurück. Aber die 272
    Erinnerung war zu lange allein gewesen; sie bestand darauf, mit ihm zu gehen. Er konnte die vier Mädchen - Carolyn, Trudi, Joyce und Arleen, die herrliche Arleen - so deutlich sehen, als hätte er ihnen erst gestern nachspioniert. Er sah sie vor seinem geistigen Auge, wie sie ihre Kleidung auszogen. Er hörte ihr Schwatzen, ihr Lachen.
    Er blieb stehen und sah noch einmal zum Pool. Die Suppe war wieder ruhig. Was immer sie ausgebrütet hatte oder wem sie als Bett diente - es war wieder eingeschlafen. Er sah auf die Uhr. Er war erst eine und eine Dreiviertelstunde vom Büro weg. Wenn er sich beeilte und hier rasch zum Ende kam, konnte er noch nach Hause fahren und ein Video aus seiner Sammlung ansehen. Diese Vorstellung, die teilweise von den erotischen Erinnerungen ausgelöst worden war, welche der Pool heraufbeschworen hatte, ließ ihn mit neuem Eifer ins Haus zurückkehren. Er verschloß die Gartentür und ging die Treppe hinauf.
    Auf halbem Weg hörte er oben ein Geräusch und blieb
    stehen.
    »Wer ist da?« wollte er wissen.
    Er bekam keine Antwort, hörte das Geräusch aber erneut. Er stellte seine Forderung ein zweitesmal; ein Dialog aus Frage und Geräusch; Frage und Geräusch. Waren möglicherweise Kinder im Haus? In leerstehende Häuser einzubrechen - das war schon vor ein paar Jahren Mode gewesen und jetzt wieder im Anstieg begriffen. Aber dies war das erstemal, daß er die Möglichkeit hatte, einen Missetäter auf frischer Tat zu erwischen.
    »Kommen Sie herunter?« sagte er und legte soviel basso profundo in die Frage, wie er aufbringen konnte. »Oder muß ich nach oben kommen und Sie holen?«
    Die einzige Antwort war dasselbe wuselnde Geräusch, das er schon zweimal gehört hatte, als würde ein kleiner Hund mit un-geschnittenen Krallen über den Holzboden laufen.
    273
    Nun denn, dachte William. Er ging weiter die Treppe hinauf, wobei er so fest auftrat, wie er konnte, um den Eindringlingen Angst zu machen. Er kannte Namen und Spitznamen fast aller Kinder im Grove. Und diejenigen, die er nicht kannte, konnte er mühelos auf dem Schulhof identifizieren. Er würde an ihnen ein Exempel statuieren und so weitere potentielle Einbrecher einschüchtern.
    Als er oben auf der Treppe war, war alles still geworden. Die Nachmittagssonne schien durch ein Fenster herein, ihre Wärme vertrieb die Angst, die er verspürt hatte. Hier lauerte keine Gefahr. Gefahr lauerte auf einer mitternächtlichen Straße von

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