Jenseits des Bösen
Vaterlosen und Witwen in der Stunde ihrer Not besucht, wie es das Evangelium gebot, er hatte sein Möglichstes getan, sich nicht von der Welt beflecken zu lassen. Dennoch kamen die Dämonen zu ihm. Er hörte sie, aber er hatte die Augen zugemacht. Ihre Myriaden Beine erzeugten ein Tohuwabohu, als sie über den Fenstersims, die Spüle und das dort gestapelte Geschirr kamen. Er hörte ihre feuchten Körper auf die Bodenkacheln klatschen, als ihre Massen den Boden
überfluteten und sich darauf ausbreiteten - auf Geheiß der Gestalt, die er draußen erblickte (Der Jaff! Der Jaff!), die sie an ihrem Körper getragen hatte wie ein Imker, der zu sehr in seine Bienen verliebt ist.
Mrs. McGuire hatte aufgehört zu beten. Vielleicht war sie tot; das erste Opfer. Und vielleicht würde ihnen das genügen, 307
so daß sie ihn verschonten. Das war ein Gebet, für das es sich lohnte, nach Worten zu suchen. Bitte, lieber Gott, murmelte er und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Bitte, lieber Gott, mach sie blind, damit sie mich nicht sehen, taub, damit sie mich nicht hören, nur Du allein sollst mein Flehen hören und verzeihend auf mich herunterblicken. Welt ohne Ende...
Seine Bitte wurde von einem heftigen Klopfen an der Hintertür unterbrochen, dann wurde die Stimme von Tommy-Ray, dem verlorenen Sohn, laut.
»Mama? Kannst du mich hören? Mama? Laß mich rein, ja?
Laß mich rein, ich schwöre, ich halte sie auf. Ich schwöre es.
Aber du mußt mich hineinlassen.«
Pastor John hörte Mrs. McGuire als Antwort schluchzen, doch daraus wurde sofort, ohne Vorwarnung, ein Heulen. Sie lebte noch; und war wütend.
»Wie kannst du es wagen!« schrie sie. » Wie kannst du es wagen!«
Sie machte einen solchen Lärm, daß er die Augen aufschlug.
Der Zustrom der Dämonen vom Fenster hatte aufgehört. Das heißt, sie kamen nicht mehr näher, aber es herrschte immer noch Bewegung in dem blassen Teppich. Fühler winkten, Gliedmaßen machten sich für neue Befehle bereit, Augen glotzten auf Stielen. Sie hatten nichts an sich, das er kannte; und dennoch kannte er sie alle. Er wagte nicht, sich zu fragen, wie oder woher er sie kennen konnte.
»Mach die Tür auf, Mama«, sagte Tommy-Ray wieder. »Ich muß Jo-Beth sprechen.«
»Laß uns in Ruhe.«
»Ich muß sie sehen, und du wirst mich nicht daran hindern«, tobte Tommy-Ray. Seiner Forderung folgte das Splittern von Holz, als er mit dem Fuß gegen die Tür trat. Beide Riegel und das Schloß brachen. Es folgte ein Augenblick des Zögerns.
Dann stieß er behutsam die Tür auf. Seine Augen hatten einen 308
garstigen Schimmer, einen Schimmer, wie Pastor John ihn in den Augen von Menschen kurz vor dem Tode gesehen hatte.
Ein inneres Leuchten erfüllte sie. Bisher hatte er es für Verklärung gehalten. Diesen Fehler würde er nicht wieder machen. Tommy-Ray sah zuerst zu seiner Mutter, die unter der Küchentür stand und sie versperrte, dann zu ihrem Gast.
»Besuch, Mama?« sagte er.
Pastor John schlotterte.
»Sie haben Einfluß auf sie«, sagte Tommy-Ray zu ihm. »Auf Sie hört sie. Sagen Sie ihr, daß sie mir Jo-Beth geben soll, ja?
Das macht es für uns alle einfacher.«
Der Pastor drehte sich zu Joyce McGuire um.
»Gehorchen Sie«, sagte er nur. »Sonst sind wir alle tot.«
»Siehst du, Mama?« lautete Tommy-Rays Antwort. »Rat
vom heiligen Mann. Er weiß, wenn er besiegt ist. Ruf sie herunter, Mama, sonst werde ich wütend, und wenn ich wütend werde, dann werden es auch Papas Freunde. Ruf sie!«
»Nicht nötig.«
Tommy-Ray grinste, als er die Stimme seiner Schwester hörte, deren blitzende Augen und tückisches Lächeln eisig waren.
»Das bist du ja«, sagte er.
Sie stand hinter ihrer Mutter unter der Tür.
»Können wir gehen?« fragte er höflich, und es mußte für alle Welt so aussehen, als wäre er ein Junge, der sein Mädchen zur ersten Verabredung mitnimmt.
»Du mußt mir versprechen, daß du Mama in Ruhe läßt«,
sagte Jo-Beth.
»Das werde ich«, sagte Tommy-Ray im Tonfall eines
Mannes, dem falsche Vorwürfe gemacht wurden. »Ich will Mama nichts zuleide tun. Das weißt du.«
»Wenn du sie in Ruhe läßt... komme ich mit dir.«
Howie hörte auf halbem Weg die Treppe herunter, wie Jo-Beth ihr Versprechen gab, und hauchte ein Nein. Er konnte 309
nicht sehen, welche Schrecken Tommy-Ray mitgebracht hatte, aber er konnte sie hören; es waren die gleichen Geräusche, die sein Kopf in Alpträumen hörte. Geräusche wie Auswurf, wie Keuchen. Er ließ
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