Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Kreis drehte.
    314
    »Los, Mann, los!« johlte er.
    »Ich an Ihrer Stelle würde das nicht versuchen«, sagte der Jaff.
    Bevor Howie sich fragen konnte, warum, bekam er die Antwort. Die Kreatur biß ihn heftig in den Nacken. Er schrie auf und fiel auf die Knie. Der Ausruf des Schmerzes löste einen Chor aus Klicken und Murmeln vom Dach und der
    Küchenwand aus. Howie drehte sich unter Schmerzen zum Jaff um. Dieser hatte nicht auf sein Gesicht geachtet; das Ding mit dem Gesicht eines Foetus, das dahinter zum Vorschein kam, war riesig und glänzte feucht. Howie konnte es aber nur eine Sekunde lang betrachten, dann lenkte Jo-Beths Schluchzen seinen Blick zu den Bäumen, wo sie sich in Tommy-Rays Griff befand. Auch dieser Blick - ihre feuchten Augen, der offene Mund - war schrecklich kurz. Dann machte er die Augen zu, so heftig waren die Schmerzen im Nacken, und als er sie wieder aufmachte, waren sie und Tommy-Ray und ihr ungeborener Vater nicht mehr da.
    Er stand auf. In die Armee des Jaff war Bewegung
    gekommen. Die ganz unten an der Mauer sprangen auf den Boden, gefolgt von denen, die weiter oben waren, und der Vorgang lief mit einer solchen Geschwindigkeit ab, daß die Bataillone schon bald fast einen Meter hoch oder mehr den Rasen bedeckten. Manche kämpften sich aus der Masse frei und kamen mit den Mitteln, die ihnen eben zur Verfügung standen, auf Howie zu. Die größeren Kreaturen sprangen vom Dach herunter und nahmen an der Jagd teil. Der kurze
    Vorsprung, den ihm der Jaff gegeben hatte, schwand mit jedem Augenblick des Zögerns, daher lief Howie so schnell er konnte in Richtung Straße.

    Fletcher spürte Entsetzen und Ekel des Jungen allzu deutlich, gab sich aber Mühe, sie zu verdrängen. Howie hatte seinen Vater verstoßen, um sich auf die Suche nach der verderbten 315
    Nachfahrin des Jaff zu machen, weil ihn zweifellos allein das Äußere geblendet hatte. Wenn er unter den Folgen dieser Willfährigkeit litt, so war das allein seine Schuld, und er mußte allein damit fertig werden. Wenn er überlebte, würde er vielleicht schlauer sein. Wenn nicht, würde sein Leben, dessen einzigen Zweck er in dem Augenblick aufgegeben hatte, als er Fletcher den Rücken kehrte, auf ebenso klägliche Weise wie das von Fletcher selbst enden, und damit wäre wieder
    Gerechtigkeit geschehen.
    Verbitterte Gedanken, aber Fletcher gab sich größte Mühe, sie zu erhalten, und rief sie sich jedesmal, wenn er den Schmerz des Jungen spürte, ins Gedächtnis zurück. Doch das reichte nicht. So sehr er sich bemühte, Howies Entsetzen zu mißachten, es verschaffte sich Gehör, und schließlich hatte er keine andere Möglichkeit mehr, als darauf zu reagieren. In gewisser Weise vervollständigte es diese Nacht der
    Verzweiflung und mußte beachtet werden. Er und sein Kind waren zusammenpassende Teile in einem Puzzle von
    Niederlagen und Scheitern.
    Er rief den Jungen: Howardhowardhowardhow... - derselbe Ruf, den er ausgestoßen hatte, als er aus dem Fels
    herausgekommen war.
    Howardhowardhowardhow...
    Er schickte die Botschaft in einem bestimmten Rhythmus aus, wie ein Leuchtturm auf einer Klippe. Er hoffte, daß sein Sohn nicht schon so geschwächt war, daß er ihn nicht mehr hören konnte, und konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Endspiel. Da der Sieg des Jaff unausweichlich schien, blieb ihm ein letztes Gambit, mit dem er sich nicht selbst in Versuchung führen wollte, weil er wußte, wie stark sein Wunsch nach Verwandlung war. Es war all die Jahre über eine Folter für ihn gewesen, moralisch verpflichtet zu sein, auf dieser Ebene des Seins zu verweilen und zu hoffen, daß er das Böse besiegen konnte, an dessen Erschaffung er selbst beteiligt 316
    gewesen war, wo doch kein Augenblick verging, da seine Gedanken sich nicht einer Flucht zuwandten. Er wünschte sich so sehr, frei von dieser Welt und ihren Albernheiten zu sein; sich von seiner Anatomie zu befreien und, wie Schiller es über jedwede Kunst gesagt hatte, dem Dasein der Musik
    zuzustreben. Konnte es sein, daß die Zeit reif war, diesem Instinkt nachzugeben und in den letzten Sekunden seines Lebens als Fletcher zu hoffen, der beinahe unausweichlichen Niederlage das Bruchstück eines Sieges zu entreißen? Wenn ja, mußte er sorgfältig planen, und zwar die Methode seiner Selbstauflösung ebenso wie den Ort. Für den Stamm, der Palomo Grove bewohnte, konnte es keine
    Wiederholungsvorstellung geben. Wenn er, ihr verstoßener Schamane, unbemerkt starb, dann wären

Weitere Kostenlose Bücher