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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Würde so ein Mann den Nuncio 49
    gut einsetzen? In den Händen eines milden und liebenden Mannes konnte die Große Arbeit ein neues Zeitalter einläuten und jedes Lebewesen in Kontakt mit dem Sinn seiner
    Schöpfung bringen. Aber Jaffe liebte nicht, noch war er milde.
    Er war ein Dieb, der Offenbarungen stahl, ein Magier, der sich nicht die Mühe machte, die Prinzipien seiner Kunst zu begreifen, dem es nur darum ging, durch sie Macht zu
    erlangen.
    Wenn man das alles bedachte, stellte sich nicht die Frage, ob er das Recht hatte, dieses Wunder zu vernichten, sondern nur, wie er es wagen konnte zu zögern.
    Er ging, von neuerlicher Überzeugung erfüllt, auf die drei Phiolen zu. Der Nuncio wußte, daß Fletcher ihm ein Leid zufü-
    gen wollte. Er reagierte mit hektischer Aktivität, kroch, so gut er konnte, an der Glaswand hinauf und brodelte in seinem Behältnis.
    Als Fletcher nach dem Gestell griff, wurden dem Nuncio seine wahren Absichten klar. Er wollte nicht einfach nur entkommen. Er wollte seine Wunder an eben jenem Fleische erproben, das ihm schaden wollte.
    Er wollte seinen Schöpfer neu erschaffen.
    Diese Erkenntnis kam so spät, daß Fletcher nicht mehr entsprechend handeln konnte. Bevor er die ausgestreckten Hände zurückziehen oder sich abwenden konnte, barst eine der Phiolen. Fletcher spürte, wie Glas in seine Handfläche schnitt und der Nuncio dagegenspritzte. Er taumelte rückwärts und hob die Hände vors Gesicht. Er sah mehrere Schnitte, darunter einen besonders großen in der Mitte der Handfläche, der vor aller Welt so aussah, als hätte jemand einen Nagel
    hindurchgeschlagen. Die Schmerzen erzeugten ein
    Schwindelgefühl, aber das dauerte nur einen Augenblick -
    Schwindelgefühl und Schmerzen. Danach kam eine
    vollkommen andersartige Empfindung. Nein, keine
    Empfindung. Diese Beschreibung war zu trivial. Es war, als 50
    würde man sich auf Mozart konzentrieren; eine Musik, die an den Ohren vorbei direkt in die Seele drang. Nachdem er sie ge-hört hatte, würde er nie mehr der alte sein.
    51
    V

    Randolph hatte den Rauch der Feuer vor der Mission gesehen, als er die erste Biegung der langen Straße den Berg hinauf hinter sich gebracht hatte; und dieser Anblick hatte den Verdacht bestätigt, der seit Tagen in ihm nagte: daß sein gedungenes Genie den Aufstand probte. Er überdrehte den Motor des Jeeps und verfluchte den Sand, der in Staubwolken unter den Reifen aufwirbelte und das Vorankommen zu einem mühsamen Kriechen machte. Bis heute war es sowohl ihm wie auch Fletcher recht gewesen, daß die Große Arbeit so fernab der Zivilisation durchgeführt wurde, wenngleich es jede Menge Überzeugungskraft erfordert hatte, ein Labor von dem Umfang, wie Fletcher es benötigte, an einem so abgelegenen Ort einzurichten. Aber heutzutage war Überzeugungskraft kein Problem. Der Ausflug in die Schleife hatte das Feuer in Jaffes Augen geschürt. Was die Frau in Illinois, deren Namen er nie erfahren hatte, zu ihm sagte: Du hast etwas Außergewöhnliches gesehen, nicht wahr? Das stimmte, jetzt mehr denn je. Er hatte einen Ort außerhalb der Zeit gesehen, und sich selbst dort, und seine Gier nach der ›Kunst‹ hatte ihn über die geistige Gesundheit hinausgetrieben. Das alles wußten die Menschen, obschon sie den Gedanken niemals hätten in Worte kleiden können. Sie sahen es ihm an, und sie machten entweder aus Ehrfurcht oder Angst, was er verlangte.
    Fletcher jedoch war von Anfang an die Ausnahme dieser Regel gewesen. Seine Neigungen und seine Verzweiflung hatten ihn formbar gemacht, aber der Mann besaß immer noch einen eigenen Willen. Viermal hatte er Jaffes Angebot ausgeschlagen, aus seinem Versteck zu kommen und seine Forschungsarbeit wieder aufzunehmen, obwohl Jaffe ihm jedesmal klargemacht hatte, wie schwierig es gewesen war, das verschollene Genie aufzuspüren, und wie sehr er sich eine Zusammenarbeit zwischen ihnen wünschte. Er hatte jedes der 52
    vier Angebote damit versüßt, daß er bescheidene Mengen Meskalin mitgebracht und mehr versprochen hatte; und er hatte versprochen, daß er jedwede Gerätschaften bereitstellen würde, die Fletcher benötigte, wenn er ihn nur dazu bringen konnte, seine Forschungen wieder aufzunehmen. Schon als er Fletchers radikale Theorien zum ersten Mal gelesen hatte, hatte Jaffe gewußt, daß sich hier die Möglichkeit bot, das System zu überlisten, das zwischen ihm und der ›Kunst‹ stand. Er zweifelte nicht daran, daß der Weg zum Meer der Essenz mit Prüfungen und

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