Jenseits des Bösen
der Rasse«, antwortete Jaffe. »Das überrascht mich nicht. Sie haben den Prozeß einfach beschleunigt. Haben ein paar Jahrtausende
übersprungen.«
»Werde ich Himmel sein?« sagte Fletcher noch einmal. »Das möchte ich gerne sein.«
»Dann seien Sie es«, sagte Jaffe. »Meine Ambitionen gehen weiter.«
»Ja. Ja, leider. Darum habe ich versucht, den Nuncio von Ihnen fernzuhalten. Damit er Sie nicht benützen kann. Aber er hat mich abgelenkt. Ich sah, wie das Fenster aufging, und konnte mich nicht zurückhalten. Der Nuncio hat mich so verträumt gemacht. Nun sitze ich hier und frage mich: Werde ich... werde ich Himmel sein?«
»Er hat verhindert, daß Sie mich betrügen«, sagte Jaffe. »Er möchte benützt werden, das ist alles.«
»Mmmm.«
»Und wo ist der Rest? Sie haben nicht alles genommen.«
»Nein«, sagte Fletcher. Die Gabe der Täuschung war ihm genommen worden. »Aber bitte, nicht...«
»Wo?« sagte Jaffe, der nun das Zimmer betrat. »Haben Sie ihn bei sich?«
Er spürte Myriaden winziger Bewegungen auf der Haut, als er eintrat, als wäre er in eine dichte Wolke unsichtbaren Staubes getreten. Das Gefühl hätte ihn davor warnen sollen, sich mit Fletcher einzulassen, aber er war so versessen auf den Nuncio, daß er es gar nicht bemerkte. Er legte dem Mann einen Finger auf die Schulter. Kaum war der Kontakt hergestellt, schien die Gestalt auseinanderzufliegen, eine Wolke aus Splittern - grau, weiß und rot -, die wie ein Pollensturm gegen 58
ihn brandeten.
Er hörte das Genie in seinem Kopf lachen, aber nicht auf seine Kosten, wie Jaffe wußte, sondern wegen des befreienden Gefühls, daß er endlich die Staubschicht abschütteln konnte, die sich seit der Geburt auf ihm angesammelt hatte und immer dichter geworden war, bis die letzten Spuren der Helligkeit verdeckt waren. Jetzt stob der Staub davon. Fletcher saß immer noch da wie zuvor. Aber jetzt leuchtete er.
»Bin ich zu hell?« sagte er. »Das tut mir leid.«
Er reduzierte seine Leuchtkraft.
»Das will ich auch können!« sagte Jaffe. »Auf der Stelle.«
»Ich weiß«, antwortete Fletcher. »Ich kann Ihr Verlangen spüren. Übel, Jaffe, übel. Sie sind gefährlich. Ich glaube, mir ist erst jetzt klar geworden, wie gefährlich Sie sind. Ich kann in Sie hineinsehen. Ihre Vergangenheit lesen.« Er verstummte einen Augenblick, dann gab er ein langes, schmerzvolles Stöhnen von sich. »Sie haben einen Menschen getötet«, sagte er.
»Er hatte es verdient.«
»Er stand Ihnen im Weg. Und der andere, den ich sehe...
Kissoon, richtig? Ist er auch gestorben?«
»Nein.«
»Aber Sie hätten ihn gerne umgebracht, nicht? Ich kann den Haß in Ihnen spüren.«
»Ja, ich hätte ihn umgebracht, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte.« Er lächelte.
»Und mich auch, nehme ich an«, sagte Fletcher. »Haben Sie da ein Messer in der Tasche?« fragte er, »oder freuen Sie sich nur, mich zu sehen?«
»Ich will den Nuncio«, sagte Jaffe. »Ich will ihn, und er will mich ...«
Er wandte sich ab. Fletcher rief hinter ihm her:
»Er beeinflußt den Verstand, Jaffe. Möglicherweise die Seele. Verstehen Sie denn nicht? Es gibt nichts außen, das nicht innen seinen Anfang hätte. Nichts Reales, das nicht zuerst 59
geträumt würde. Ich? Ich wollte meinen Körper nie, bestenfalls als Behältnis. Ich wollte eigentlich überhaupt nie etwas, nur Himmel sein. Aber Sie, Jaffe. Sie! Ihr Verstand ist voller Scheiße. Denken Sie darüber nach. Denken Sie, was der Nuncio verstärken wird. Ich flehe Sie an...«
Die dringende Bitte, die in seinen Kopf gehaucht wurde, ließ Jaffe einen Moment innehalten und zu dem Porträt
zurücksehen. Es war von seinem Stuhl aufgestanden, obwohl es, Fletchers Gesichtsausdruck nach zu schließen, eine Qual war, sich von dem Ausblick loszureißen.
»Ich flehe Sie an«, wiederholte er. »Lassen Sie sich nicht von ihm benützen.«
Fletcher streckte eine Hand nach Jaffes Schulter aus, aber dieser wich vor ihm zurück und betrat das Labor. Sein Blick fiel fast auf der Stelle auf den Tisch, wo die beiden restlichen Phiolen standen, deren Inhalt gegen die Glaswände brodelte.
»Wunderschön«, sagte Jaffe und ging auf sie zu. Der Nuncio sprang in den Phiolen empor, als er näher kam, wie ein Hund, der es nicht erwarten kann, seinem Herrn das Gesicht zu lecken. Seine Unterwürfigkeit strafte Fletcher Lügen. Er, Randolph Jaffe, war der Herr in dieser Runde. Der Nuncio der Untergebene.
Fletcher sprach in seinem Kopf weiterhin Warnungen
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