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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Überreste der linken hingen in Fetzen vom freigelegten Knochen herunter. Sein Gesicht war ebenso brutal verwüstet, aber nicht von Zähnen, sondern von dem, was er gesehen hatte.
    Er taumelte gebrochen und mit leerem Blick zum Tor hinunter. Wölkchen aus Dunkelheit, die letzten Reste der Terata, folgten ihm.
    Tesla wollte Grillo unbedingt fragen, was er von der Essenz gesehen hatte, aber dies war nicht der geeignete Augenblick.
    Es genügte zu wissen, daß er am Leben war und es ihr später erzählen konnte. Fleisch in seiner Welt, in der das Fleisch jeden Augenblick verloren war. Am Leben, wo doch das Leben mit jedem Ausatmen zu Ende ging und mit jedem Einatmen 595
    aufs neue begann.
    Im Wellental dazwischen herrschten solche Gefahren. Jetzt mehr denn je. Sie zweifelte nicht daran, daß das Schlimmste eingetreten war und irgendwo am fernsten Ufer der Essenz die Iad Uroboros ihren Neid schärften und die Reise über das Meer der Träume begannen.
    596
    Siebter Teil

    Seelen am Nullpunkt

    I

    Präsidenten, Propheten, Schamanen, Päpste, Heilige und Wahnsinnige hatten - im Verlauf eines Jahrtausends - versucht, durch Bestechung, Mord, Drogen und Flagellantismus zur Essenz zu gelangen. Sie waren allesamt gescheitert. Das Meer der Träume war mehr oder weniger erhalten geblieben, seine Existenz war ein erlesenes Gerücht, unbewiesen und daher um so faszinierender. Die herrschende Rasse im Kosm bewahrte ihren Rest geistiger Gesundheit, indem sie das Meer der Träume dreimal während einer Lebensspanne besuchte, wieder verließ und stets noch mehr wollte. Dieses Verlangen war ihre Triebkraft. Es bereitete ihr Schmerzen, brachte sie in Wut. Ließ sie Gutes tun, und zwar häufig in der - unbewußten - Hoffnung, dadurch regelmäßigeren Zugang zu bekommen. Ließ sie
    aufgrund der idiotischen Mutmaßung Böses tun, ihre Feinde, die das Geheimnis kannten, aber nicht preisgaben, hätten sich gegen sie verschworen. Ließ sie Götter vernichten.
    Die wenigen, welche die Reise unternommen hatten, die Howie, Jo-Beth, Tommy-Ray und zweiundzwanzig weitere
    Gäste aus Buddy Vance' Haus unternahmen, waren keine zufälligen Reisenden gewesen. Sie waren aus den Gründen von der Essenz auserwählt worden und - größtenteils - vorbereitet gegangen.
    Howie dagegen war ebensowenig darauf vorbereitet wie die Möbelstücke, die in den Schlund des Schismas gesogen
    worden waren. Er wurde zuerst durch Energiewirbel
    geschleudert und danach mitten in eine Gewitterwolke, in der Blitze kurze, grelle Feuer rings um ihn herum entzündeten. In dem Augenblick, als er in den Schlund geraten war, waren 597
    sämtliche Geräusche aus dem Haus verstummt. Und die
    Trümmer ringsum waren verschwunden. Er war hilflos und konnte weder manövrieren noch sich orientieren, sondern lediglich durch die Wolke taumeln; dabei wurden die Blitze immer seltener und die Intervalle der Dunkelheit immer länger, bis er sich schließlich fragte, ob seine Augen vielleicht zufielen und die Dunkelheit - ebenso wie das Gefühl des Fallens, das sie begleitete - nur in seinem Kopf war. Wenn ja, dann war er glücklich in ihrer Umarmung, denn seine Gedanken befanden sich inzwischen auch im freien Fall und konzentrierten sich immer ganz kurz auf Bilder, die aus der Dunkelheit auftauchten und vollkommen solide zu sein schienen, obwohl er überzeugt war, sie existierten ausschließlich vor seinem geistigen Auge.
    Er rief sich immer wieder Jo-Beths Gesicht ins Gedächtnis zurück, das jedesmal über die Schulter zu ihm zurücksah. Er rezitierte Liebeserklärungen an sie, einfache Worte, und er hoffte, daß sie sie hören konnte. Jedenfalls brachten sie sie nicht in seine Nähe, auch wenn sie sie hörte. Was ihn nicht überraschen würde. Tommy-Ray war in derselben
    Gedankenwolke aufgelöst, durch die er und Jo-Beth fielen, und Zwillingsbrüder hatten Ansprüche auf ihre Schwestern, die bis in die Gebärmutter zurückreichten. Immerhin hatten sie gemeinsam in jenem allerersten Meer geschwebt, die
    Gedanken und Glieder ineinander verschlungen. Howie neidete Tommy-Ray nichts auf der Welt - nicht seine Schönheit, sein Lächeln, nichts -, nur diese gemeinsame Zeit der Intimität mit Jo-Beth, vor Sex, vor dem Verlangen, sogar vor dem Atmen.
    Er konnte nur hoffen, daß er am Ende ihres Lebens bei ihr sein würde, wie Tommy-Ray es am Anfang gewesen war - wenn
    das Alter ihnen den Sex, das Verlangen und schließlich auch das Atmen nahm.
    Dann waren ihr Gesicht und der Neid verschwunden, und

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