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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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um zu leugnen, was er hinter dem Loch sah, das die ›Kunst‹ gerissen hatte.
    Sie hörte, wie eine Stimme hinter ihr ihren Namen sagte, drehte sich um und sah eine Frau, der sie nie begegnet war, die ihr Howie aber beschrieben hatte und die sie zur Sicherheit der Schwelle winkte. Sie achtete nicht auf den Ruf. Sie wollte sehen, wie sich der Jaff selbst vernichtete; oder wie er fortgezerrt und von seinem eigenen Bösen erledigt wurde. Bis zu diesem Augenblick war ihr überhaupt nicht bewußt
    gewesen, wie sehr sie ihn haßte. Wieviel reiner würde sie sich fühlen, wenn er von der Welt verschwunden war.
    Teslas Stimme war freilich nicht nur von Jo-Beth gehört worden. Grillo, der sich ein paar Meter hinter dem Jaff auf der letzten schwindenden Insel der Festigkeit um den Künstler herum an den Boden klammerte, hörte Teslas Ruf auch und drehte sich - gegen den Ruf der Essenz - zu ihr um. Sein 590
    Gesicht fühlte sich an wie von Blut geschwollen, weil das Loch sämtliche Körpersäfte in ihm emporzog. Sein Kopf dröhnte, als würde er jeden Moment platzen. Die Tränen wurden ihm aus den Augen gesogen, Wimpern abgerissen. Zwei blutige
    Rinnsale flossen aus seiner Nase direkt in das Loch hinein.
    Er hatte mit angesehen, wie der größte Teil des Zimmers in die Essenz gezogen wurde. Rochelle war als erste darin verschwunden, ihr drogensüchtiger Körper hatte den geringsten Halt in der Wirklichkeit gehabt. Sagansky und sein
    niedergeschlagener Gegner waren fort. Die Partybesucher waren trotz ihrer Versuche, die Tür zu erreichen,
    verschwunden. Die Bilder waren von den Wänden gerissen worden, danach der Verputz von den Holzbalken; jetzt gaben die Balken selbst nach und wölbten sich dem Ruf entgegen.
    Grillo wäre ihnen längst gefolgt, hätte ihm nicht der Schatten des Jaff einen unsicheren Halt in diesem chaotischen Meer geboten.
    Nein, nicht Meer. Ein Meer hatte er auf der anderen Seite des Loches gesehen, und dieses Meer beschämte jedes andere Bild des Wortes.
    Die Essenz war das wirkliche Meer; das erste, das unauslot-bare. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben, seinem Lockruf zu entkommen. Er war so dicht an sein Ufer gekommen, daß es kein Zurück mehr gab. Seine Strömung hatte bereits den größten Teil des Zimmers weggerissen. Bald würde sie ihn holen.
    Aber als er Tesla sah, hatte er plötzlich Hoffnung, daß er überleben und seine Geschichte weitererzählen könnte. Wenn er die geringste Chance haben wollte, mußte er schnell handeln. Der geringe Schutz, den der Jaff bot, wurde jeden Augenblick kleiner. Als er sah, wie Tesla den Arm nach ihm ausstreckte, streckte er ihr den seinen entgegen. Die Entfernung war zu groß. Sie konnte nicht weiter ins Zimmer kommen, ohne den Halt in der relativen Festigkeit jenseits der Tür zu 591
    verlieren.
    Sie gab den Versuch auf und trat von der Öffnung zurück.
    Laß mich nicht im Stich, dachte er. Mach mir nicht Hoffnungen und laß mich dann im Stich.
    Er hätte es besser wissen müssen. Sie war einfach
    zurückgetreten, um den Gürtel aus den Schlaufen der Hose zu ziehen; dann stand sie wieder unter der Tür und ließ den Gürtel vom Sog der Essenz aufrollen und in seine Reichweite wehen.
    Er ergriff ihn.

    Draußen auf dem Schlachtfeld hatte Howie die Überreste des Lichts gefunden, das Benny Patterson gewesen war. Er hatte fast keine Ähnlichkeit mehr mit dem Jungen, aber doch immerhin noch soviel, daß Howie ihn erkennen konnte. Er ließ sich daneben auf die Knie nieder und überlegte, daß es albern war, das Ende von etwas so Vergänglichem zu betrauern, aber dann korrigierte er diesen Gedankengang. Auch er war
    vergänglich und sich seines Sinns ebensowenig sicher wie es dieser Traum, Benny Patterson, gewesen war.
    Er legte dem Jungen eine Hand aufs Gesicht, aber dieser löste sich bereits auf und verwehte wie Pollen unter seinen Fingern. Er wandte sich betrübt ab und sah Tommy-Ray, der am Tor von Coney Eye stand und zum Haus sah. Hinter ihm stand ein Mann, den Howie nicht kannte. Und hinter beiden eine Mauer stöhnenden Staubs, die Tommy-Ray wie eine
    wirbelnde Wolke folgte.
    Seine Gedanken wanderten von Benny Patterson zu Jo-Beth.
    Wo war sie? Er hatte sie im Durcheinander der vergangenen Minuten vollkommen vergessen. Aber er zweifelte nicht daran, daß sie Tommy-Rays Ziel war.
    Er stand auf, um sich seinem Gegner entgegenzustellen, der so weit vom Bild des sonnengebräunten, strahlenden Helden, als der er sich im Einkaufszentrum präsentiert hatte, entfernt

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