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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Leidenschaft, den anderen zu vernichten, die längst die ›Kunst‹
    70
    überschritten hatte und ebenso hingebungsvoll und
    entschlossen wie Liebe war, kämpften sie fünf Nächte lang miteinander. Wieder triumphierte keiner. Sie schlugen aufeinander ein und zerrten aneinander, dunkel gegen hell, bis sie kaum noch ihre Gestalten halten konnten. Als der Wind sie ergriff, konnten sie ihm keinen Widerstand mehr
    entgegensetzen. Mit der wenigen Kraft, die ihnen beiden noch blieb, hinderten sie sich gegenseitig daran, zur Mission und der dort wartenden Stärkung vorzustoßen. Der Wind wehte sie über die Grenze nach Kalifornien und drückte sie mit jeder zurückgelegten Meile tiefer zu Boden. Sie reisten nach Südsüdwest über Fresno und Richtung Bakersfield, bis ihre Kräfte - am 27. Juli 1971- nachgelassen hatten, daß sie sich nicht mehr in der Luft halten konnten und in Ventura County am bewaldeten Rand einer Stadt namens Palomo Grove nieder-sanken - inmitten eines unbedeutenden elektrischen Sturms, der die strahlenden Scheinwerfer und erleuchteten Plakatwände des nahen Hollywood nicht einmal zum Flackern brachte.

    71
    Zweiter Teil

    Der Bund der Jungfrauen

    I

    l

    Die Mädchen gingen zweimal zum See hinunter. Zum ersten Mal nach dem schweren Regensturm, der über Ventura County hinweggefegt war und in einer einzigen Nacht mehr Wasser über der Kleinstadt Palomo Grove ausgeschüttet hatte, als die Bewohner von Vernunfts wegen in einem ganzen Jahr hätten erwarten dürfen. Der Regenguß, so monsunartig er gewesen war, hatte jedoch nicht die Hitze weggenommen. Aus der Wüste wehte kaum Wind, und der Ort dörrte bei über
    fünfunddreißig Grad vor sich hin. Kinder, die sich vormittags beim Spielen in der Hitze erschöpft hatten, quengelten die Nachmittage über drinnen. Hunde verfluchten ihr Fell; die Vögel sangen nicht. Alte Leute legten sich ins Bett. Einbrecher ebenfalls, in Schweiß gebadet. Die Unglücklichen, die Arbeiten erledigen mußten, welche nicht bis zum Abend warten
    konnten, wenn - so Gott wollte - die Temperaturen etwas sanken, gingen zur Arbeit und starrten dabei auf die
    hitzeflimmernden Gehwege, jeder Schritt eine Qual, jeder Atemzug stickig in den Lungen.
    Aber die vier Mädchen waren an die Hitze gewöhnt; in
    ihrem Alter lag sie ihnen im Blut. Zusammen waren sie siebzig Jahre alt, aber wenn Arleen nächsten Dienstag neunzehn wurde, würden es einundsiebzig sein. Heute fühlte sie sich ihrem Alter entsprechend, fühlte die entscheidenden paar Monate, die sie von Joyce, ihrer engsten Freundin, trennten, und noch mehr von Carolyn und Trudi, die mit ihren siebzehn 72
    Jahren Welten von einer reifen Frau wie ihr entfernt waren. An diesem Tag, als sie durch die verlassenen Straßen von Palomo Grove schlenderten, hatte sie viel zum Thema Erfahrung zu sagen. Es war schön, an einem so herrlichen Tag draußen zu sein, ohne von den Männern der Stadt begafft zu werden - die sie alle mit Namen kannte -, deren Frauen es vorzogen, in getrennten Schlafzimmern zu schlafen; und ohne Angst, daß ihre sexuellen Anzüglichkeiten von Freundinnen einer ihrer Mütter gehört werden konnten. Sie schritten, wie Amazonen in kurzen Hosen, durch eine Stadt, die wie von einem unsichtbaren Feuer durchdrungen schien, das die Luft zum Wabern brachte und Backsteinmauern in Fata Morganas
    verwandelte, das aber nicht tötete. Es streckte lediglich die Einwohner neben ihren offenen Kühlschränken nieder.
    »Ist es Liebe?« wandte sich Joyce an Arleen.
    Das ältere Mädchen hatte eine rasche Antwort parat.
    »Herrgott, nein«, sagte sie. »Manchmal bist du so dumm.«
    »Ich dachte nur... weil du so über ihn sprichst.«
    »Was meinst du damit: so?«
    »Über seine Augen und so.«
    »Randy hat hübsche Augen«, gestand Arleen. »Aber Marty auch und Jim und Adam...«
    »Oh, hör auf«, sagte Trudi mit mehr als einer Spur Gereiztheit in der Stimme. »Du bist so ein Flittchen.«
    »Bin ich nicht.«
    »Dann hör auf, Namen zu nennen. Wir wissen alle, daß die Jungs dich mögen. Und wir wissen auch alle den Grund dafür.«
    Arleen warf ihr einen Blick zu, der unbemerkt blieb, da sie alle, abgesehen von Carolyn, Sonnenbrillen aufhatten. Sie gingen ein paar Meter schweigend weiter.
    »Möchte jemand eine Cola?« sagte Carolyn. »Oder ein Eis?«
    Sie waren am Fuß des Hügels angelangt. Vor ihnen lag das Einkaufszentrum, dessen klimatisierte Geschäfte lockten.
    »Klar«, sagte Trudi. »Ich komme mit.« Sie wandte sich an 73
    Arleen.

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