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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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gelassen und war zu etwas Neuem geworden. Und der andere Mann, dem er
    immer mißtraut hatte, schon als Worte lediglich wie böse Laute eines menschlichen Gaumens gewesen waren, ebenfalls. Jetzt begriff er die Bedeutung dieses Wortes; jedenfalls konnte er sie mit seiner eigenen animalischen Reaktion auf Jaffe erklären: Ekel. Der Mann war bis ins Mark hinein krank; wie eine von Fäulnis zerfressene Frucht. Dem Kampfeslärm drinnen nach zu schließen, hatte Fletcher beschlossen, gegen diese Verderbtheit vorzugehen. Die kurze, friedliche Zeit, die er mit seinem Vater gehabt hatte, war vorüber. Kein Unterricht in feinem
    Benehmen mehr; kein Am-Fenster-Sitzen, während »der
    erhabene Mozart« lief und sie zusahen, wie die Wolken ihre Form veränderten.
    Als die ersten Sterne herauskamen, hörte der Lärm in der Mission auf. Raul wartete in der Hoffnung, daß Jaffe vernichtet worden war, aber er fürchtete, daß auch sein Vater nicht mehr sein würde. Nachdem er eine Stunde in der Kälte gewartet hatte, beschloß er hineinzugehen. Wo immer sie hingegangen sein mochten - Himmel oder Hölle -, er konnte ihnen nicht folgen. Er konnte lediglich seine Kleidungsstücke anziehen, die er immer verabscheut hatte - sie kratzten und engten ein -, die jetzt aber eine Erinnerung an die Lehren seines Meisters waren.
    Er würde sie immer tragen, damit er den guten Menschen 65
    Fletcher nie vergaß.
    Als er an der Tür angekommen war, stellte er fest, daß die Mission nicht verlassen war. Fletcher war noch da. Und sein Gegner auch. Beide Männer besaßen noch Körper, die an ihre früheren Erscheinungen erinnerten, aber sie waren verändert.
    Über jedem schwebte ein Schemen: ein Kind mit riesigem Kopf über Jaffe; eine Wolke, in deren Kissen irgendwo die Sonne war, über Fletcher. Die Männer hielten mit den Händen gegenseitig ihre Hälse umklammert. Ihre Astralkörper waren ebenso verflochten. Vollkommener Gleichstand; keiner konnte einen Sieg erringen.
    Rauls Eintreten machte diesen Gleichstand zunichte.
    Fletcher drehte sich um, sein gesundes Auge sah den Jungen an, und in diesem Moment nutzte der Jaff seinen Vorteil und schleuderte den Gegner quer durchs Zimmer.
    »Hinaus!« schrie Fletcher Raul an. »Geh hinaus!«
    Raul tat, wie ihm befohlen worden war, und raste zwischen den erloschenen Feuern vor der Mission hindurch, während unter seinen Füßen der Boden bebte, als hinter ihm neue Wutausbrüche entfesselt wurden. Ihm blieben gerade drei Sekunden Zeit, sich ein Stück den Hang hinabzuwerfen, bevor die Leeseite der Mission - Mauern, die erbaut worden waren, damit sie bis ans Ende des Glaubens überdauerten - unter einem Energieausbruch barst. Er bedeckte nicht die Augen. Und deshalb konnte er sehen, wie die Gestalten von Jaffe und dem guten Menschen Fletcher, Zwillinge, die im gegenseitigen Würgegriff gefangen waren, aus dem Zentrum der Explosion über seinem Kopf hinausflogen und in der Nacht
    verschwanden.
    Die Wucht der Explosion hatte die Scheiterhaufen verstreut.
    Jetzt flackerten Hunderte kleinerer Feuer rings um die Mission herum empor. Das Dach war fast vollkommen zerstört worden.
    In den Wänden konnte man klaffende Wunden sehen.
    Raul, der sich bereits einsam fühlte, hinkte zu seinem 66
    einzigen Zuhause zurück.
    67
    VI

    In diesem Jahr wurde in Amerika ein Krieg ausgefochten, wahrscheinlich der erbittertste, sicherlich aber der seltsamste, der jemals auf, über oder in seinem Boden ausgetragen worden war. Es wurde kaum in Meldungen erwähnt, weil er unbemerkt blieb. Besser gesagt, seine Auswirkungen - zahlreich und häufig traumatisch - waren kaum als Folgen eines Krieges zu erkennen und wurden demzufolge ständig fehlinterpretiert.
    Aber es handelte sich schließlich auch um einen Krieg ohne Präzedenzfall. Nicht einmal die eingefleischtesten Propheten, die einmal jährlich den Weltuntergang vorhersagten, konnten das Beben in Amerikas Eingeweiden interpretieren. Sie wußten, etwas Außergewöhnliches war im Gange, und wäre Jaffe noch im Zimmer der Postirrläufer im Postamt von Omaha gewesen, hätte er zahllose Briefe gefunden, die hin und her geschickt wurden und voll von Theorien und Mutmaßungen waren. Aber keine kam der Wahrheit auch nur entfernt nahe -
    nicht einmal diejenigen der Leute, die auf indirekte Weise vom Schwarm und der ›Kunst‹ wußten.
    Der Kampf war nicht nur ohne Präzedenzfall, auch seine Natur veränderte sich im Laufe der Wochen. Die Kämpfenden hatten, als sie die Misión de Santa

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